Bühne des Kapitels / Moduls
Linksextremismus
2.3 Phänomene der Politisch motivierten Kriminalität
Inhalt des Kapitels / Moduls
Bilanzierende Einschätzung des Gefahrenpotenzials des Linksextremismus
Wie kann das Gefahrenpotenzial des Linksextremismus eingeschätzt werden? Eine Antwort auf diese Frage muss differenziert ausfallen und die unterschiedlichen Erscheinungsebenen des gemeinten Phänomens unterscheiden.
Dabei soll zunächst auf die Gewaltdimension eingegangen werden: Die Ausführungen zu einschlägigen Handlungen machten deutlich, dass man sehr wohl von einem hohen Potenzial sprechen kann. Es ist aber begrenzt hinsichtlich der Gewaltintensität auf Körperverletzungen; Attentate wie im Linksterrorismus hat es nach dessen Niedergang nicht mehr gegeben. Gleichwohl agieren Autonome mitunter so, dass sie erhebliche Körperverletzungen bis hin zu möglichen Todesfolgen einkalkulieren. Das Gefahrenpotenzial ihrer Gewaltanwendung besteht aber nicht nur in dieser Hinsicht. Durch derartige Handlungen diskreditieren sie demokratische und friedliche Protestbewegungen, die auf bedenkliche Entwicklungen in Ökonomie und Politik aufmerksam machen wollen. Aber auch jenen mangelt es gegenüber Autonomen mitunter an einer klaren Distanzierung.
Eine andere Ebene des Gefahrenpotenzials ist die Wahlkandidatur. Hier besteht jedoch ein klares Bild, denn die linksextremistischen Parteien können keine Parlamentseinzüge verzeichnen. Noch nicht einmal Achtungserfolge gibt es bei einschlägigen Kandidaturen, bleibt man doch meist unter 0,3 % der Stimmen. Demgegenüber stellen extremistische Bestrebungen in der Partei „Die Linke“ ein Problem dar, was nicht nur für einschlägige Foren und Plattformen gilt. Es gibt hohe Funktionsträger und Parlamentsangehörige, die mit linksextremistischen Gruppierungen in unterschiedlichem Maße kooperieren. Dies wird sowohl innerhalb als auch außerhalb der Partei kaum problematisiert. Will „Die Linke“ als demokratische Partei wahrgenommen werden, sollte sie diesbezügliche Abgrenzungen und Klarstellungen vornehmen. Dies gilt auch und gerade gegenüber den Autonomen, die eben nicht nur gesellschaftskritisch, sondern gewaltorientiert sind. Dazu fehlt ein kritisches Bewusstsein in der Partei, wo derartige Fragen tabuisiert werden.
Und schließlich sei noch die gesamtgesellschaftliche Ebene angesprochen: Während in den 1970er- und 1980er-Jahren eine große Aufmerksamkeit für den Linksextremismus in der Öffentlichkeit bestand, ging diese in den folgenden Jahrzehnten immer mehr zurück. Dafür gab es nachvollziehbare Gründe, war doch das Gefahrenpotenzial des Islamismus (siehe Kapitel 2.2) und Rechtsextremismus (siehe Kapitel 2.1) höher. Dies bedeutet aber nicht, dass der Linksextremismus keine Relevanz mehr hat. Hinzu kommt noch ein anderer Gesichtspunkt: Die Anhänger dieses politischen Lagers greifen mitunter reale politische und soziale Probleme auf. Damit versuchen sie, in die breitere Gesellschaft hineinzuwirken und sich etwa als die konsequentesten Gegner des Rechtsextremismus zu geben. Der dabei artikulierte „Antifaschismus“ dient ihnen zur Selbstlegitimation. Indessen geht hier die Einsicht verloren, wonach die Ablehnung des Faschismus nicht ein Bekenntnis zur Demokratie bedeuten muss. Autonome sollten daher keine Bündnispartner für Demokraten sein.
Die vorstehenden Ausführungen haben deutlich gemacht, dass es sich bei dem beschriebenen Linksextremismus um ein komplexes Phänomen handelt. Zwar spricht die den Gruppierungen gemeinsame Frontstellung, die sich gegen die Grundlagen moderner Demokratie und offener Gesellschaft im Namen von „sozialer Gleichheit“ richtet, für eine Sammelbezeichnung im genannten Sinne. Gleichwohl dürfen die internen Differenzen in diesem politischen Lager nicht ignoriert werden: Dies gilt nicht nur für die ideologische Ausrichtung in den erwähnten Bereichen, sondern auch für die jeweiligen Handlungsstile und die soziale Zusammensetzung. Das wäre insbesondere gegenüber den behandelten Autonomen hervorzuheben, welche aufgrund ihres bewegungsförmigen Charakters kein in sich homogenes Phänomen darstellen. Hier bedarf es auch der Differenzierung, wenn über die Frage von Präventionsmaßnahmen nachgedacht wird. Diese können und müssen sich in der Ausrichtung je nach konkreter Zielgruppe deutlich unterscheiden.
Literatur
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Struktur und Informationen zum Kapitel / Modul
Fussnoten
1)
Eine ausführliche Erläuterung dazu findet sich in: Pfahl-Traughber 2014a, 15-28.
2)
Vgl. als ältere Gesamtdarstellungen: Langguth 1983; Moreau/Lang 1996; zudem als neuere Gesamtdarstellungen: Bergsdorf/van Hüllen 2011; Pfahl-Traughber 2014.
3)
Dietel/Hirschmann/Tophoven 2006.
4)
Pfahl-Traughber 2014a, 168-170.
5)
Ebd., 167-168.
6)
Ebd., 170-171.
7)
Dietel/Hirschmann/Tophoven 2006; Pfahl-Traughber 2014a, 173-176.
8)
Ebd., 153-165.
9)
Siemens 2007.
10)
Vgl. unter anderem Fülberth 1990; Hirscher/Pfahl-Traughber 2008.
11)
Alle Angaben zu Anhängern oder Mitgliedern linksextremistischer Personenzusammenschlüsse stammen aus den Verfassungsschutzberichten und beziehen sich auf den Stand Ende 2017. Mit guten Gründen kann man ihnen kritisch gegenüberstehen, zumal es sich mitunter nur um allgemeine Schätzungen handelt. Es gibt aber keine andere Datengrundlage dafür.
12)
Vgl. unter anderem van Hüllen 2007; Müller-Enbergs 2008.
13)
Drechseler/Hilligen/Neumann 2003, 627-628 (Maoismus), 937-939 (Stalinismus).
14)
Pfahl-Traughber 2014b.
15)
Langguth 1983; Pfahl-Traughber 2013a.
16)
Langguth 1983, 124-125.
17)
Vgl. unter anderem Pfahl-Traughber 2013b; Pfahl-Traughber 2014a, 111-124.
18)
Vgl. unter anderem Brandt 2017, 69-95; van Hüllen 2014.
19)
Vgl. unter anderem Blank 2019; Pfahl-Traughber 2014a, 131 folgend.
20)
Pfahl-Traughber 2014a, 126 folgend.
21)
Vgl. unter anderem Bundesministerium des Innern 1995; Fraude 2003.
22)
Backes 2017; Decker 2018.
23)
Pfahl-Traughber 2014a, 117-118.
24)
Die Linke; Verfassungsschutzbericht 2017, 159.
25)
Marxistisches Forum; Verfassungsschutzbericht 2017, 158.
26)
Die Linke; Jesse 2011, 83-98.
27)
Backes 2017, 119-135; Verfassungsschutzbericht 2017, 155.
28)
Brandt 2017, 69-95; Verfassungsschutzbericht 2017.
29)
Brandt 2017, 69-95; van Hüllen 2014.
30)
Pfahl-Traughber 2014a, 125 folgend.
31)
Vgl. unter anderem Haunss 2004; Pfahl-Traughber 2017.
32)
Pfahl-Traughber 2014a, 139 folgend.
33)
„Gentrifizierung“ meint die Umstrukturierung von Wohngebieten insbesondere in Großstädten, welche zu einem starken Anstieg von Mieten und damit zum Wegzug von Bewohnern mit geringem Einkommen führt. „Globalisierung“ steht für eine weltweite Wirtschaftspolitik, die auf eine freie Marktwirtschaft mit der Folge von wachsender sozialer Ungleichheit sowohl in den Entwicklungsländern wie in den Industriestaaten setzt.
34)
Vgl. Baron 2016; ansonsten hat sich die Extremismusforschung noch nicht mit diesem Phänomen beschäftigt.
35)
Pfahl-Traughber 2014a, 136 folgend.
36)
Baron 2017.
37)
Haunss 2008, 447-474.
38)
Vgl. Pfahl-Traughber 2014a, 29-68.
39)
Vgl. Pfahl-Traughber 2011, 163-182; Pfahl-Traughber 2014a, 181-194.
40)
Vgl. unter anderem Bigalke 2004; Hanloser 2004.
41)
Drechseler/Hilligen/Neumann 2003, 632-633.
42)
Ebd., 627-628 (Maoismus) und 937-939 (Stalinismus).
43)
Brandt 2017, 69-95.
44)
Der Anspruch geht aber bei der DKP nicht mit der Realität einher. Bereits seit Jahren gibt es einen Konflikt zwischen zwei Strömungen: Während die einen sich den jeweils neuen Protestbewegungen stärker öffnen wollen, beharren die anderen auf der Orientierung an der traditionellen Arbeiterpartei. Damit einhergehende Kontroversen beschränken die politischen Wirkungsmöglichkeiten der Partei.
45)
Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport. Abteilung Verfassungsschutz 2009, 2015.
46)
Interventionistische Linke 2019.
47)
Vgl. Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport 2016, 13.
48)
Ebd., 16.
49)
Vgl. Bergsdorf/van Hüllen 2011, 34.
50)
Vgl. Galtung 1982; Marcuse 1966.
51)
Vgl. Baron 2016.
52)
Vgl. ebd. 72 ff.
53)
Interventionistische Linke 2019.
54)
Mit Beginn der 1990er Jahre bildete sich mit den sogenannten Antideutschen eine neue Strömung innerhalb des autonomen Spektrums heraus, die sich gegen einen vermeintlichen deutschen Nationalismus wandte. Vor dem Hintergrund der Wiedervereinigung befürchteten ihre Aktivistinnen und Aktivisten ein Erstarken des Nationalismus innerhalb der vereinigten Bundesrepublik und eine Rückkehr zum Nationalsozialismus. Im Zuge der Golfkriege von 1990 und 2003 solidarisierten sie sich bedingungslos mit dem Staat Israel und seiner Schutzmacht, den USA, woraufhin es zum Bruch mit den übrigen Autonomen kam.
55)
„ums Ganze!“ 2018a.
56)
Ebd.
57)
"ums Ganze!" 2018b.
58)
Interventionistische Linke 2018.
59)
Dem Jahresbericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz zufolge weisen die postautonomen Strukturen von IL und uG einen Mitgliederstand von rund 1.330 Personen auf, während die Gesamtheit der „Autonomen“, bzw. der „gewaltorientierten Linksextremisten“ mit rund 7.400 Personen angegeben wird. Vgl. Verfassungsschutzbericht 2018, 118 ff.
60)
Baron 2016, 78.
61)
Lethen 2012, 18.
62)
Ebd.
63)
Groh 1973, 59.
64)
DSAN 2015.
65)
Zweiter Mai 2016.
66)
Vgl. Wennerhag/Jämte, 19.
67)
Kapser 2018, 85.
68)
Ebd., 97f.
69)
Ebd., 155.
70)
Thesen zur autonomen Bewegung von 1981 (ebenso zwei bearbeitete Varianten der 1980er- und 1990er-Jahre), zit. nach: Kongreßlesebuchgruppe 1995, 276.
71)
Vgl. Haunss 2013, 26-42.
72)
Thesen zur autonomen Bewegung von 1981, zitiert nach: Kongreßlesebuchgruppe 1995, 275.
73)
Vgl. Haunss 2013, 27.
74)
DSAN 2014.
75)
Autonome L.U.P.U.S-Gruppe 1987, 17.
76)
Ebd., 11.
77)
Ebd., 19.
78)
Vgl. Haunss 2004, 134.
79)
Ebd., 137 und 139.
80)
Vgl. Autonome Antifa (M) 1994.
81)
Hinter der Formel „revolutionärer Antifaschismus“ verbirgt sich die Vorstellung eines Antifaschismus, der seine Aufgabe nicht nur in einer Zurückdrängung der extremen Rechten sieht, sondern sich dem Kampf gegen das Bündel gesellschaftlicher Verhältnisse (Kapitalismus, Rassismus, Sexismus etc.), die angeblich Faschismus ermöglichen, verschrieben hat. Vgl. Keller 2011, 95 ff.
82)
AK Wantok 2010, 199.
83)
Ebd., 209.
84)
Interventionistische Linke 2014, 19.
85)
Bernhardt 2019.
86)
Interventionistische Linke a.
87)
Interventionistische Linke b.
88)
Baron 2017.
89)
Vgl. Grigat 2007.
90)
Vgl. Kirsche-Humboldt, in: taz vom 20.05.2017.
91)
So heißt es bspw. im IL Zwischenstandspapier: „Notwendiger Bestandteil einer solchen radikalen Transformation ist der revolutionäre Bruch, dem wiederum viele kleine Brüche, die entlang von Kämpfen stattfinden, vorausgehen und folgen. Um den Weg zu einer befreiten Gesellschaft freizumachen, braucht es die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln und der Kapitalverwertung, auf denen die ökonomische Macht basiert, und die Überwindung des bürgerlichen Staatsapparates als Garant dieser Eigentumsordnung.“, IL- Zwischenstandspapier, 29.
92)
Baron 2016, 71 folgend.
93)
Interventionistische Linke c.
94)
Baron 2016, 72.