Bundeskriminalamt (BKA)

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Der polizeiliche Phänomenbereich „Politisch Motivierte Kriminalität – ausländische Ideologie“ geht Hand in Hand mit der vom Verfassungsschutz geprägten Kategorie „Ausländerextremismus“. Dabei handelt es sich um einen Sammelbegriff für unterschiedliche Extremismusarten, deren Gemeinsamkeiten der Ursprung im Ausland und ihre Transnationalität sind. Die für die deutschen Sicherheitsbehörden und auch gesellschaftlich relevantesten transnational-extremistischen Organisationen sind momentan jene mit einem Türkeibezug. Sie existieren zum Teil schon seit mehreren Jahrzehnten, haben einen konstanten Mitgliederstamm und sind dennoch wissenschaftlich wenig erforscht. Diese Phänomene als einfache „Konfliktimporte“ zu bezeichnen, würde zu kurz greifen. Eine erfolgreiche Präventionsarbeit setzt ein fundiertes Wissen sowohl über die Akteure und die von ihnen transportierten Inhalte als auch über die Strukturen und Aktionsformen der im Fokus stehenden Organisationen voraus. Nicht zuletzt stellt sich hier für die Präventionsarbeit die Frage, weshalb junge Menschen in Deutschland Identitätsangebote transnational-extremistischer Organisationen annehmen und welche alternativen Identitätskonstruktionen ihnen hier offeriert werden können.

Begriffsklärung und Schwerpunktsetzung

„Politisch Motivierte Kriminalität – ausländische Ideologie“ und „Transnationaler Extremismus“

Dem Phänomenbereich „Politisch motivierte Kriminalität – ausländische Ideologie“ (PMK - Ausländische Ideologie) werden Straftaten zugeordnet, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die durch eine nichtdeutsche Herkunft geprägte Einstellung der Täterin oder des Täters entscheidend für die Tatbegehung war. Dies gilt insbesondere, wenn sie darauf gerichtet sind, Verhältnisse und Entwicklungen im In- und Ausland oder aus dem Ausland heraus Verhältnisse und Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland zu beeinflussen. Straftaten der PMK - Ausländische Ideologie können auch durch deutsche Staatsangehörige begangen werden.1) Doch die Bundesrepublik Deutschland ist eine „streitbare (wehrhafte) Demokratie“. Neben der Wertegebundenheit und der staatlichen Bereitschaft, diese Werte gegenüber Extremistinnen und Extremisten2) zu verteidigen, bedeutet das auch, die Verfassung schon im Vorfeld zu schützen. Der Staat schreitet nicht erst ein, wenn extremistische Personengruppen gegen Gesetze verstoßen (politisch motivierte Kriminalität), sondern bereits vor der eigentlichen Tat. Diese Aufgabe übernimmt der Verfassungsschutz, der Inlandsnachrichtendienst der Bundesrepublik Deutschland.

Extremismusprävention setzt noch einen Schritt früher an und will die Radikalisierung von Personen in extremistische Milieus hinein verhindern. Um Extremismusprävention erfolgreich betreiben zu können, muss man wissen, welche extremistischen Vereinigungen es gibt, wer die Handelnden sind, was ihre Motivation ist und welcher Handlungsformen sie sich bedienen. Erst dann kann frühzeitig eine Radikalisierung erkannt und dieser gegengesteuert werden.

Im vorliegenden Kapitel sollen extremistische Organisationen und ihr Umfeld dargestellt werden, die in Deutschland aktiv sind, aber ihren Ursprung im Ausland haben und inzwischen transnational – also über Staatsgrenzen hinaus – ausgerichtet sind. Der Verfassungsschutz verwendet hierfür traditionell den Begriff des „Ausländerextremismus“, auch wenn es sich bei den Akteuren rechtlich nicht nur um „Ausländer“ handelt.3) Emre Arslan spricht in seinem Buch „Der Mythos der Nation im Transnationalen Raum“ von „transnationalen Übergängen“ und meint damit finanzielle, personale, organisatorische und ideologische Schnittstellen zwischen ultranationalistischen Mutterparteien in der Türkei und ihren Ablegern in Deutschland. Mittlerweile haben alle Organisationen aus dem Phänomenbereich „Ausländerextremismus“, sowohl rechts- als auch linksextremistische, europaweite Gesamtstrukturen mit eigenen „Deutschlandvertretungen“ aufgebaut. Aufgrund der durchweg hierarchischen Strukturen empfangen ihre in Deutschland lebenden Anhänger politisch-strategische Richtlinien aus den jeweiligen Ursprungsländern und setzen diese bereitwillig in die Tat um. Die Stärkung der Hauptorganisation ist dabei immer das langfristige Ziel, damit diese in die Lage versetzt wird, ihre politische Agenda vor Ort umzusetzen.

Exkurs - Transnationale Migration

Bei der Analyse von Migration als einem transnationalen Phänomen stehen Aktivitäten von Migrantinnen und Migranten auf politischer, ökonomischer und soziokultureller Ebene über Ländergrenzen hinweg im Fokus. Zu soziokulturellen transnationalen Aktivitäten zählen beispielsweise Besuche und die Kontaktaufrechterhaltung mit Familie und Freunden im Auswanderungsland oder auch eine Mitgliedschaft in sozialen Organisationen dort. Vor der „Entdeckung“ der Transnationalität beschäftigte man sich lediglich mit „einfachen“ Migranten, die ihren Wohnort auf Dauer wechselten („internationale Migration“ bzw. „Binnenmigration“), oder mit Menschen, die nach einem längeren Aufenthalt wieder in ihre „Heimat“ zurückkehren („Remigration“). Die Realität ist inzwischen jedoch komplexer:

„Immer mehr Menschen leben hier und „außen“, sie entwickeln transnationale Netzwerke, erweitern ihre Lebensräume, Erfahrungen und Normen über nationale Grenzen hinweg und betreten die Weltbühne als global vernetzte Akteure der Zivilgesellschaft, die im jeweils nationalstaatlichen Raum selbstbewusste Mitsprache und Beteiligungsrechte fordern.“4)

Vor allem dank globaler Vernetzung durch das Internet werden inzwischen vielfältige transnational-soziale Beziehungen aufgebaut. So überwinden Migranten räumliche Distanzen und können sowohl kognitiv (erkenntnismäßig) als auch emotional (gefühlsmäßig) nahezu das Niveau in ihrem Herkunftsland erreichen. Gesellschaftliche und politische Entwicklungen dort werden daher auch in Deutschland unmittelbar wahrgenommen und verarbeitet.

„Aber es sind nicht nur persönliche Kontakte und die körperliche Mobilität von Menschen, die transnationale Beziehungen schaffen. Auch die mediale Kommunikation und die virtuellen Netzwerke im Internet ermöglichen es heute immer mehr Menschen, mit anderen Menschen und anderen Orten der Welt in Kontakt zu treten, die sie gar nicht persönlich kennen.“5)

Schwerpunkt: Türkei

Im Folgenden werden ausschließlich extremistische Organisationen mit Ursprung in der Türkei dargestellt. Das hat gute Gründe. In Deutschland leben ca. 3 Millionen Menschen, die einen türkischen Migrationshintergrund haben. Auch wenn ungefähr die Hälfte von ihnen deutsche Staatsbürger sind, orientieren sich nach wie vor viele dieser Menschen an dem Land ihrer Vorfahren. Ihre ursprüngliche nationale Identität – sei es die türkische oder die kurdische – steht für nicht wenige an erster Stelle. Studien haben aber auch gezeigt, dass für diese Menschen eine enge Verbundenheit mit der Türkei nicht im Widerspruch stehen muss zu einer Verbundenheit mit Deutschland.6)

Mit der türkischen „Teilidentität“ verbunden ist für viele das Interesse an den politischen Entwicklungen in der Türkei. Entsprechend gibt es in Deutschland neben zahlreichen kulturellen Organisationen auch eine Vielzahl politischer Organisationen, die diese Verbundenheit mit der Türkei aufrechterhalten und eine grenzüberschreitende Teilhabe am dortigen Geschehen ermöglichen. Unter den politischen Organisationen mit Türkeibezug sind jedoch auch solche, die in Deutschland als extremistisch eingestuft werden. Die hinsichtlich ihrer Mitgliederstärke und ihres Aktivitätsgrades bedeutendsten extremistischen Migrantenorganisationen haben mittlerweile alle ihren Ursprung in der Türkei.

Die Schwerpunktsetzung auf die Türkei rechtfertigt auch ein Blick in die polizeiliche Kriminalstatistik: Im Phänomenbereich „Ausländische Ideologie“ wird seit mehreren Jahren der überwiegende Teil der Straftaten im Zusammenhang mit innertürkischen Konflikten begangen – wenn auch mit Schwankungen.7)

20152016201720182019
2020
PMK-Ausländische Ideologie1.3452.6501.6172.4871.8971.016
davon das Unterthema "PKK/Kurden/Türkei"8081.5181.0281.8731.394446
PMK

Denn sobald sich in der Türkei die politische Situation zuspitzt, reagiert ein Teil der türkischen bzw. kurdischen Community in Deutschland darauf in der Regel mit Demonstrationen und Kundgebungen. In Zusammenhang mit diesen Veranstaltungen kommt es dann häufig zu Verstößen gegen das Vereinsgesetz, zu Sachbeschädigungen und zu Verstößen gegen das Versammlungsgesetz. Es werden jedoch auch Gewalttaten wie Widerstands- und Körperverletzungsdelikte oder auch Brandanschläge im Zusammenhang mit innertürkischen Konflikten in Deutschland begangen.

Struktur und Informationen zum Kapitel / Modul

Fussnoten

Literatur

Quellen

Bildquellen

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