Bundeskriminalamt (BKA)

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Auch wurde am Caplan-Modell von verschiedenen Autorinnen und Autoren6) Kritik geübt. Die wesentlichen Argumente gegen die Caplan-Definition sind:

  • „Primärprävention“ ist wissenschaftlich nicht definierbar, es gelingt damit keine geeignete Erfassung von Prozessen, die später zu Problemen führen könnten. So wird z. B. Aggression als Merkmal für die Prognose späterer Probleme wie Gewalt herangezogen. Dieses Merkmal ist aber vor allem im frühen Lebensalter weit verbreitet. Unklar bleibt somit, was eine „primäre Prävention“ „weit vor dem Ereignis“ von Gewalt hier bedeuten soll. Bei der „Primärprävention“ werden Gruppen mit erhöhten Risiken, die in der Bevölkerung durchaus weit verbreitet sein können, nicht erfasst. Damit ist die in Abb. 1 dargestellte Differenzierung nach der Risikoeinschätzung nicht sinnvoll.
  • „Tertiärprävention“ ist eine Vermischung von Behandlung und Prävention und keine Prävention im eigentlichen Sinne. Mit der Entwicklung des Schemas „universell – selektiv – indiziert“ war die Differenzierung von Prävention und Behandlung beabsichtigt.7) Da alle vorhandenen Problematiken zu immer noch schwereren Problematiken führen können, wäre jede denkbare Behandlungsmaßnahme immer auch als eine „Prävention“ zu betrachten.8) Das ergibt dann aber keinen Sinn mehr, wenn man Prävention von etwas anderem unterscheiden will. Das Ziel der Verhinderung des Rückfalls ist jeder Behandlung zumindest in dem hier zur Diskussion stehenden Themenfeld eigen und braucht nicht als „Tertiärprävention“ eigens hervorgehoben zu werden.

Das zweite Klassifkationsmodell unterscheidet in Bezug auf die Zielgruppen der Prävention zwischen universell, selektiv und indiziert.9)

 BegriffZielgruppeBeispiel
Universelle PräventionAlle Mitglieder einer Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppe, die nicht auf der Basis ihres Risikoniveaus ausgewählt
wurden.
Ein Programm zur Mobbingprävention, das für alle Schulkinder der Stufen 7-9 in einer Kommune angeboten
wird.
Selektive PräventionAusgewählte Gruppen einer Population mit erhöhtem Risiko, ohne dass die zu verhindernde Problematik in der Zielgruppe schon vorhanden ist.Ein Programm für Kinder aus suchtbelasteten Familien zur Prävention späterer Sucht- und Verhaltensprobleme.
Indizierte PräventionPersonen mit hohem Risiko/ersten Vorzeichen des Problemverhaltens, ohne dass schon eine „klinische“ Diagnose des Problems vorhanden ist.Eine Maßnahme zur Unterstützung von nur denjenigen Eltern, deren Kinder einen Schulverweis aufgrund von Verhaltensproblemen bekommen haben.
Abbildung 2: Einteilung nach Gordon 1983, IOM 1994, 2009

Hierbei lassen sich zwar einige Parallelen zu der Caplan-Einteilung finden, aber es besteht ein klarer Unterschied zur vorherigen Einteilung.

Annäherungen an eine Definition der universellen Prävention

Eine weitergehende Definition kommt aus den USA vom Institute of Medicine/National Research Council (IOM). Diese Einteilung wird hier als Arbeitsgrundlage für die weiteren Ausführungen vorgeschlagen. Dem Feld der Prävention ist hier die Promotion (i. S. v. Förderung) vorgelagert. An die Prävention (Prevention) schließt sich die Behandlung (Treatment) und dann die Heilung (Recovery) an.

Für den Begriff der universellen Prävention erscheint diese Darstellungsweise insbesondere deshalb hilfreich, weil sie darin nicht einfach als der Ausgangspunkt und die Basis von Prävention gesetzt wird, sondern die Handlungskette um den Aspekt von allgemeinen Fördermaßnahmen ergänzt wird.

Worin liegen also die Unterschiede oder auch die Gemeinsamkeiten von universeller Prävention mit Förderungs-Maßnahmen (Promotion) im Hinblick auf allgemeine Ziele, wie z. B. geistig-seelische Entwicklung, Gesundheit oder Demokratie? Alle effektiven Maßnahmen der Prävention enthalten Elemente der Förderung von Fähigkeiten, Kompetenzen oder Erfahrungen. Förderung ist grundlegend für den Erfolg von Prävention. Daher lässt sich dieser Bereich nicht einfach abtrennen, er hat im Gegenteil eine breite Überschneidung mit universeller Prävention. Allerdings können auch Kriterien für eine Unterscheidung gefunden werden. Bei der universellen Prävention kommt zur Förderung ganz wesentlich noch das Ziel bzw. die Absicht der Vermeidung bestimmter Probleme hinzu und dies idealerweise basierend auf dem Nachweis bzw. einer Plausibilität der Erreichung ebensolcher Ziele.

Die Abgrenzung der universellen Prävention von der allgemeinen Förderung ist also theoretisch klar, wenn auch in der Praxis nicht immer „sortenrein“. Kompetenzstärkung bspw. kann sowohl als Entwicklungsförderung, aber auch als Prävention gedacht werden. Und jede Präventionsmaßnahme hat auch fördernden Charakter. Die Einstufung in Prävention oder Förderung (nach dem IOM-Modell) hängt jeweils von Setting, Zielen, Legitimation, Problemstellung und Programmumfeld ab.10)

Zugespitzt könnte man sagen, dass universelle Prävention explizit, d.h. eindeutig auf die Verhinderung kriminellen Verhaltens abzielt, während Förderung diese indirekt bereits beinhaltet, also implizit mitbetreibt.

Eine Veranschaulichung dieser beiden Pole in Bezug auf die Präventionsklassen sowie die Felder, in denen Prävention bzw. Förderung geschieht, bietet die Matrix der Kriminalprävention in Abb. 4 (siehe nächste Seite).

Die Matrix erlaubt einen Gesamtblick auf verschiedene Präventionsklassen der Kriminalprävention sowie auf verschiedene Felder und Ebenen, auf denen präventives Handeln erfolgen kann. Für alle präventiven Maßnahmen, egal ob sie universell, selektiv oder indiziert angelegt sind, werden weitere Differenzierungen vorgesehen.

Struktur und Informationen zum Kapitel / Modul

Fussnoten

Literatur