Bundeskriminalamt (BKA)

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Fazit

Selektive Extremismusprävention im hier verhandelten Verständnis ist vor allem pädagogische Prävention. Als solche orientiert sie sich an einer Perspektive, die Rebellion, politische Radikalität und Normabweichung als zunächst normale Bestandteile jugendlicher Suchprozesse in einem gesellschaftlichen Zusammenhang begreift, der zunehmend von Polarisierungen und Ideologisierungen geprägt ist. Dabei wird „Extremismus“ nicht auf Delinquenz und Gewaltbereitschaft reduziert, vielmehr beschreibt der Begriff im weitesten Sinne anti-pluralistische Einstellungen, Orientierungen und Weltbilder, die auch in der „Mitte der Gesellschaft“ weit verbreitet sind. Selektive Prävention soll der Herausbildung und Verfestigung solcher Positionen und Deutungsmuster vorbeugen, die Hinwendung zu entsprechenden Ideologien und Gruppen verhindern und im Falle bereits angebahnter Hinwendungen Distanzierungsprozesse fördern.

Unseres Erachtens lassen sich aus allgemeinen (statistisch oder theoretisch begründeten) „Vulnerabilitäts“-Annahmen weder eine erhöhte extremistische Gefährdung konkreter Personen oder Gruppen deterministisch herleiten, noch die damit verbundenen und immer auch etikettierenden Zu- und  Einordnungen von Menschen legitimieren.  Wir sind deshalb der Ansicht, dass selektive Prävention nur auf konkrete, beobachtbare Verhaltensformen und Positionen vor allem von Personen, aber auch von Gruppen reagieren kann – nicht etwa auf „Risikofaktoren“, die aus dem sozialen Umfeld, biografischen Merkmalen, Gruppenzugehörigkeiten etc. abgeleitet werden. Solche gruppenbezogenen Profilbildungen tragen wenig zur Präventionspraxis bei, fördern aber die Stigmatisierung der dort beschriebenen Individuen und Gruppen.

Vor diesem Hintergrund sprechen wir von beobachtbaren Signalen, wie zum Beispiel die Artikulation von Abwertungs- und Feindbildkonzepten, die möglicherweise auf entsprechende Prozesse von Individuen und Gruppen hindeuten. Diese Signale sind zunächst als Aufforderung zum genaueren Hinsehen zu begreifen, um im jeweils konkreten Fall abzuklären, ob Maßnahmen der selektiven Prävention angezeigt sind. Dieses Vorgehen beugt Stigmatisierungen vor und erleichtert der pädagogischen Praxis das Erkennen „problematischer“ Phänomene, deren Differenzierung und die Wahl der Vorgehensweisen.

Das Spektrum an Maßnahmen, die dem Feld der selektiven Prävention zugeordnet werden können, stellt sich analog zu den Zielgruppen breit dar. Zentrale Elemente sind u. a. das Angebot „funktionaler Äquivalente“, Biografiearbeit, die Vermittlung von Selbstwirksamkeitserfahrungen, Irritation von Deutungen und Weltbildern, Integration in soziale Systeme und die Arbeit mit dem sozialen Nahfeld sowie mit Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. Als Bedingungen für gelingende pädagogische Prozesse sind vor allem pädagogische Haltungen wie ein akzeptierender, diskriminierungssensibler und systemischer Ansatz zu nennen.

Die aktuelle Landschaft von Maßnahmen und Trägern der selektiven Prävention zeichnet sich durch die Vielfalt ihrer Akteure, der teilhabenden Disziplinen sowie der ihr zu Grunde liegenden Konzepte aus. In dieser Vielfalt liegen große Potenziale. So steht hinter der in Deutschland sehr bunten (meist) zivilgesellschaftlichen Präventionslandschaft viel Innovationskraft und die Fähigkeit, auf lokale Besonderheiten aller Phänomenbereiche einzugehen und lokale Ressourcen effektiv zu nutzen, statt nur auf ein „Pferd“ zu setzen. Gleichzeitig entstehen Herausforderungen – wie etwa eine gewisse Unbestimmtheit: So kann, was aus dem einem Blickwinkel Demokratieförderung zu sein scheint, aus einem anderen bereits Teil selektiver Prävention sein; eine Maßnahme, die im einen Fall bereits der indizierten Prävention zuzurechnen wäre, kann im anderen „noch“ selektiv sein. Auch die Entwicklung und Einhaltung von Standards wird durch die Vielfältigkeit der Akteure und ihrer Ansätze erschwert. Und noch etwas: So wie Check- oder Indikatorenlisten bestenfalls Aufmerksamkeitssignale für eine pädagogisch-präventive Praxis beschreiben können (aber eben keine Merkmale), so lässt sich auch die Wirkung von selektiver Prävention nur in seltenen Fällen „messen“.

Vor diesem Hintergrund ist auch darauf zu verweisen, dass es nicht nur spezifizierte Träger sind, die in der selektiven Prävention agieren und gefördert werden sollten. Bedeutsamer sind demgegenüber oftmals die Regelsysteme von Schule, Jugendarbeit oder Familienhilfe, aber auch muslimische und migrantische Träger. Quasi „en passant“ nehmen diese Aufgaben der selektiven Prävention wahr. Sie sollten daher so aufgestellt und ausgestattet sein, dass auch sie im Rahmen ihrer Angebote dazu beitragen können, dass Hinwendungen zu anti-demokratischen Positionen erkannt, gestoppt und Distanzierungen von solchen Positionen, Ideologien und Organisationen gefördert werden.

Struktur und Informationen zum Kapitel / Modul

Fussnoten

Literatur

Quellen