Bundeskriminalamt (BKA)

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Abgrenzung zur Kriminalprävention

Das Handlungsfeld der selektiven Extremismusprävention unterscheidet sich von der selektiven Kriminalprävention, trotz gewisser Überschneidungen, hinsichtlich seiner anders gelagerten und breiteren Problemperspektive: Während die Kriminalprävention sich auf strafbares Verhalten bzw. dessen Verhinderung konzentriert, gelten in der Extremismusprävention bereits Orientierungen und Weltbilder (z.B. anti-pluralistische oder bestimmte Gruppen abwertende) als präventionsrelevant, auch wenn diese nicht direkt mit straffälligem Verhalten einhergehen. Hierzu zählen auch Ansichten und Überzeugungen, die in rechtlicher Hinsicht als zulässig gelten (und auch in der „Mitte der Gesellschaft“ weit verbreitet sind).12) Damit besteht hier ein hoher Legitimationsbedarf für entsprechende Problematisierungen und eine besondere Notwendigkeit, genau zwischen eventuellem Nutzen und möglichen nachteiligen Folgen von präventiven Aktivitäten abzuwägen.

Eine weitere bedeutsame Differenzierung in der selektiven Extremismusprävention ist diejenige zwischen sicherheitspolitischer und jugendhilfeorientierter Präventionsperspektive. Akteure aus beiden Berufsfeldern sind in diesem Präventionsfeld mit spezifischen Aufgaben aktiv und nicht selten in gemeinsame Kooperationsbezüge eingebunden. Doch während erstere sich am Auftrag der Gefahrenabwehr und -minimierung orientiert, ist letztere dem Schutz und der Förderung junger Menschen verpflichtet – gerade auch dann, wenn sie problematische, sich selbst und andere potenziell gefährdende Entwicklungswege einschlagen. Das ist zwangsläufig mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen verbunden, wenn es um die Abwägung zwischen gesamtgesellschaftlichen Sicherheitsinteressen und problematischen Folgen wie z.B. Stigmatisierungsgefahren geht. Deshalb stehen die Präventionsverständnisse und -ziele beider Professionen immer auch in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander.

Erfahrungsgemäß führt die fehlende Trennschärfe zwischen sicherheitspolitisch motivierten und an der Verhinderung straffälligen Verhaltens orientierten Perspektiven auf der einen und einer Präventionspraxis, die auf den Schutz und die Interessen der betreffenden Personen zielen muss, auf der anderen Seite immer wieder zu Verwirrungen. Daher gilt es nicht zuletzt im Sinne einer zielführenden Präventionspraxis, deutlich zwischen beiden Ebenen zu unterscheiden.

Zielgruppen

Zu den Zielgruppen, die unter der Perspektive selektiver Prävention adressiert werden, gehören zunächst als „gefährdet“ wahrgenommene Jugendliche und junge Erwachsene. Dabei wird das Verständnis von „Gefährdung“, wie eingangs angesprochen, in der Praxis z. T. recht unterschiedlich definiert: Einmal umfasst es junge Menschen, die durch bestimmte Positionen und Verhaltensformen auffällig werden, die auf eine (möglicherweise) bereits vorliegende Offenheit oder Affinität hindeuten, wie etwa bei religiös oder ethnisch-kulturell begründeter Abgrenzung von anderen (s. u.: Indikatoren). Dabei kann es sowohl um Einzelne, als auch um Gruppen (z. B. rechtsorientierte Jugendcliquen) gehen.

Darüber hinaus werden oft auch Gruppen von – zumeist jungen – Menschen in den Blick genommen, denen eine besondere Gefährdung infolge bestimmter „Risikofaktoren“ in ihrer Biografie oder ihrem Lebensumfeld attestiert wird. Hierzu können biografische Hintergründe wie „unvollständige“ Familienverhältnisse, sogenannte broken homes, zählen (hier wird etwa über die Rolle „abwesender Väter“ diskutiert, genauso fallen formal Allein- oder Getrennterziehende in diese Kategorie), aber auch aktuell schwierige Lebensumstände, insbesondere unterschiedliche gesellschaftliche Marginalisierungs- oder Diskriminierungserfahrungen.13)Als weitere Risikofaktoren gelten begünstigende Gelegenheitsstrukturen wie besonders „belastete“ Sozialräume – zum Beispiel Stadtteile, in denen salafistische Prediger agieren, ländliche Gebiete, in denen rechtsextreme Gruppierungen aktiv sind oder Schulen oder Sportvereine, aus denen „einschlägige“ Vorkommnisse berichtet werden.

Werden indes solch allgemeine Merkmale wie soziale Herkunft, Zugehörigkeit zu Religionen oder spezifischen Milieus als „Risikofaktoren“ definiert und herangezogen, können „ganz normale“ Jugendliche zur Zielgruppe selektiver Präventionsmaßnahmen werden, und zwar ohne dass sie selbst überhaupt in irgendeiner Form als „problematisch“ in Erscheinung getreten wären. Eine so erst als „vulnerabel“ konstruierte und markierte Gruppe könnte Entscheidungs- und Verantwortungsträgerinnen und -träger aus Politik, Bildungsarbeit und Öffentlichkeit dann dazu veranlassen, Maßnahmen zur Vorbeugung „extremistischer“ Handlungen und Positionen einzuleiten.

Zwar konnten Forschungsarbeiten eine Reihe biografischer, psycho-sozialer oder auch „lebensweltlicher“ Faktoren identifizieren, die bei Prozessen der Hinwendung zu extremistischen Offerten eine Rolle zu spielen scheinen.14) Studien zu extremistischen Hinwendungs- und Radikalisierungsverläufen machen allerdings auch deutlich, dass diese Verläufe nie das Resultat einzelner Faktoren darstellen und auch keineswegs zwangsläufig sind – d. h. solche Faktoren können, müssen aber nicht zu Hinwendungen und zum Einstieg in entsprechende Szenen führen. Eine empirisch abgesicherte „Profilbildung“, auf die sich solche Risikogruppenkonstruktionen stützen könnten, ist deshalb nicht möglich.

Vor diesem Hintergrund wiegt ein weiteres Argument umso schwerer: Selektive Präventionsangebote, die sich definitionsgemäß an bestimmte Personen oder Gruppen mehr als an andere richten, tragen zwangsläufig zu deren Stigmatisierung bei. So werden ökonomisch schwächer gestellte Elternhäuser, alleinerziehende Mütter oder auch Patchworkfamilien auf diese Weise pauschal als potenziell problematisches Umfeld kategorisiert. Ebenso befördert die Identifikation „muslimischer“ Jugendlicher oder von Geflüchteten als vermeintliche Risiko- und damit als Zielgruppe präventiver Maßnahmen unweigerlich islamfeindliche und/oder rassistische Klischees. Auf diese Weise würden gesellschaftliche Polarisierungen eher noch befördert. In der Praxis erweisen sich entsprechende Kategorisierungen dann oft als kontraproduktiv: Jugendliche, die sich pauschal als „Risikogruppe“ markiert und unter „Generalverdacht“ gestellt sehen, verschließen sich entsprechend gerahmten Angeboten und Ansprachen. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass Personen „übersehen“ werden, weil diese nicht in die gebildeten Risikokategorien fallen. Das gilt im Handlungsfeld „Rechtsextremismus“ etwa für nicht marginalisierte Jugendliche oder für solche, die keine „Bildungsverlierer“ sind, unter denen es aber durchaus Anfälligkeiten für rechtsextreme Orientierungen gibt.

Struktur und Informationen zum Kapitel / Modul

Fussnoten

Literatur

Quellen