Bundeskriminalamt (BKA)

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Allgemeine Prinzipien der indizierten Prävention

Für einen Überblick bestehender Präventionsprojekte in Deutschland wird auf die Arbeit von Gruber und Kollegen13) sowie das Kapitel 7 „Extremismuspräventionslandschaft“ verwiesen. Obwohl in bisherigen Untersuchungen durchaus vereinzelt Unterschiede in der Entwicklung von links- und rechtsextremistischen sowie islamistisch begründeten Radikalisierungsprozessen und extremistischen Gewalttaten beschrieben worden sind, scheinen doch die phänomenübergreifenden Gemeinsamkeiten der Entwicklungsprozesse zu überwiegen. So bestehen häufig in der Vorgeschichte von radikalisierten Menschen Desintegrations- und Krisenerfahrungen. Auch die Integration in Gruppen, die scheinbar einfache Erklärungsmodelle für komplexe Probleme und ein Gefühl der Zugehörigkeit vermitteln, ist ein gemeinsames Element. Alle drei Phänomenbereiche treten zudem häufig im Jugend- und Heranwachsendenalter auf. Aus diesem Grunde scheinen phänomenübergreifende Präventionsstrategien insbesondere für die indizierte Präventionsarbeit mit Aussteigern bedeutsamer als spezifische Ansätze, auch wenn in der Praxis vielfach noch phänomenspezifische Präventionsprojekte durchgeführt werden.14)

Während damit in der Praxis zwar eine phänomenspezifische Differenzierung stattfindet, ist die Definition der Präventionsziele häufig weniger eindeutig und eine Trennung zwischen universeller, selektiver und indizierter Prävention daher oft kaum möglich. Insgesamt scheinen sich zudem nur wenige Präventionsprojekte hauptsächlich mit indizierter Extremismusprävention zu beschäftigen.15)

Indizierte Extremismusprävention kann dabei prinzipiell auf bereits bestehende Konzepte der Kriminalprävention mit ihrem auf Ebene der Kommunen und der Länder etablierten Ansatz, dem ein vernetztes, interdisziplinäres, ressort- und institutionenübergreifendes Arbeiten zugrunde liegt, aufbauen.16) Zudem können manche Praxiserfahrungen aus der Distanzierungsarbeit zum Rechtsextremismus auf andere extremistische Phänomenbereiche übertragen werden.17)

Zu den allgemeinen Grundsätzen gehören dabei insbesondere die folgenden Aspekte):

  • a) Aufbau einer Vertrauensbeziehung unter Anerkennung und Achtung der Person, auch wenn deren delinquente und dissoziale Verhaltensweisen abgelehnt werden
  • b) Berücksichtigung der (individuellen) Ursachen delinquenten Verhaltens
  • c) Berücksichtigung und Bearbeitung von förderlichen Faktoren und Hemmnissen, sich aus einer problematischen Gruppe oder einem kriminellen Umfeld zu lösen
  • d) Entwicklung einer realistischen Zukunftsperspektive und Schaffung von Möglichkeiten der sozialen Integration (zum Beispiel Schule, Beruf)
  • e) Notwendigkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit (Polizei, Jugendhilfe, Beratungsstellen sowie Psychiatrie/Kinder- und Jugendpsychiatrie).

Exkurs - Praxisbeispiel indizierter Prävention

Erfolgsversprechend scheinen vor allem theorie- sowie ressortübergreifende Ansätze zu sein, in denen staatliche Koordinierungsstellen in enger Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und den vorhandenen Regelstrukturen der Behörden (zum Beispiel Jugend- und Sozialamt) kooperieren.

In Bayern wird beispielsweise, um der Radikalisierung junger Menschen speziell aus dem salafistischen Bereich entgegenzuwirken, seit 2015 verstärkt ressortübergreifend im neu geschaffenen staatlich organisierten „Bayerischen Netzwerk für Prävention und Deradikalisierung gegen Salafismus“ zusammengearbeitet. Dieses Netzwerk besteht im Wesentlichen aus zwei zentralen Säulen, und zwar der allgemeinen Prävention und der Deradikalisierung (indizierte Prävention). Die Federführung für den Bereich der allgemeinen Prävention obliegt dem Bayerischen Staatsministerium für Soziales. Die landesweite Verantwortung und Zuständigkeit für den Bereich der Deradikalisierung liegt beim Kompetenzzentrum für Deradikalisierung im Bayerischen Landeskriminalamt. Demnach ist das Kompetenzzentrum für Deradikalisierung in jedem anlass- und personenbezogenen Fall, in dem sicherheitsrelevante Aspekte (konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung) festgestellt werden und in dem eine bereits erkennbare Radikalisierung bzw. Radikalisierungsgefährdung besteht, erster Ansprechpartner in Bayern.

Grundsätzliches Ziel dieser Koordinierungsstelle ist es, Gefahren, welche durch radikalisierte Personen für andere oder für die Personen selbst ausgehen, abzuwenden. Ein wesentlicher Grundstein des bayerischen Konzeptes ist vor allem die Zusammenarbeit und Kooperation zwischen dem Kompetenzzentrum des Bayerischen Landeskriminalamtes und Akteuren der Zivilgesellschaft. Aus diesem Grund arbeitet das Kompetenzzentrum auf vertraglicher Basis mit einem zivilgesellschaftlichen Träger, derzeit mit der Beratungsstelle Bayern des Violence Prevention Network e. V. (VPN), zusammen. In Zusammenarbeit mit diesem zivilgesellschaftlichen Träger werden in sicherheitsrelevanten Beratungsfällen Hilfestellungen und Beratungsangebote für die Betroffene bzw. den Betroffenen selbst sowie das Umfeld, also etwa für Eltern, Angehörige und weitere Bezugspersonen, konzeptioniert. Ziel des Hilfe- und Beratungsangebots ist es, Distanzierungsprozesse vom Extremismus auszulösen. Die Verantwortung in Fällen ohne konkreten Sicherheitsbezug verbleibt hierbei stets beim zivilgesellschaftlichen Träger. Ein wichtiger Baustein der Zusammenarbeit ist daher eine klare Rollendefinition sowie eine ergänzende Kooperation, in die jeder seine individuellen Fähigkeiten und Kenntnisse einbringt.

Angesichts der geografischen Strukturen im Flächenland Bayern und der gesammelten Erfahrungen aus den ersten beiden Jahren seit Bestehen der staatlichen Koordinierungsstelle wurde der zunächst zentrale Ansatz in eine kombinierte zentral/dezentrale Strategie überführt. Mit diesem kombinierten Ansatz wurde innerhalb der Bayerischen Polizei in jedem der zehn Polizeipräsidien zusätzlich ein sogenannter „dezentraler Sachbearbeiter Deradikalisierung“ installiert, um innerhalb des sicherheitsbehördlichen Bereichs frühzeitig potenzielle Fälle von Radikalisierungen zu erkennen und schneller und umfassender mögliche Hilfsangebote zu unterbreiten. Hierbei wird die polizeiliche Koordinierungsstelle vor allem mit einem interdisziplinär ausgerichteten Team, bestehend aus Islamwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern, Psychologinnen und Psychologen, Kriminalpolizistinnen und Kriminalpolizisten mit Erfahrung im polizeilichen Staatsschutz sowie sozialpädagogisch ausgebildetem Personal unterstützt. Für jeden gemeldeten Sachverhalt werden fallbezogene Bewertungen und Analysen mit konkreten Handlungsempfehlungen erstellt.

In Deradikalisierungsfällen mit Sicherheitsrelevanz nimmt das Kompetenzzentrum zusätzlich eine koordinierende Funktion wahr und ist verantwortlich für das abgestimmte Vorgehen zwischen staatlichen Akteuren, zum Beispiel Jugend- und Ausländerämtern, Bayerischem Verfassungsschutz, Justizvollzugsanstalten und dem zivilgesellschaftlichen Partner. Die eigentliche Beratungsarbeit sowie die ggf. erforderliche Betreuung des persönlichen Umfeldes übernimmt vorwiegend der zivilgesellschaftliche Partner mit seinem ebenfalls auf die verschiedenen individuellen Phänomene und Zielgruppen (zum Beispiel junge Mädchen, Rückkehrerinnen und Rückkehrer aus Kriegsgebieten, Flüchtlinge) ausgerichteten Team. Durch die multiprofessionelle und interdisziplinäre Aufstellung von staatlicher Koordinierungsstelle und zivilem Träger können für den jeweiligen Einzelfall passgenaue Deradikalisierungsansätze sowie Betreuungskonzepte entwickelt werden.

An diesem Beispiel wird deutlich, wie sich staatliche und zivilgesellschaftliche Angebote in Deutschland wechselseitig ergänzen. Dabei werden jeweils auch lokale Gegebenheiten und regionale Besonderheiten berücksichtigt. So finden sich beispielsweise in weniger besiedelten, ländlichen Räumen häufiger mobile Angebote, und in bestimmten Regionen mit strukturellen Problemen existiert eine höhere Angebotsdichte.

Struktur und Informationen zum Kapitel / Modul

Fussnoten

Literatur