Bühne des Kapitels / Moduls
Die kommunale Ebene - Das Beispiel Wolfsburg
6.1 Koordination und Umsetzung von Extremismusprävention
Inhalt des Kapitels / Moduls
Seit dem 11. September 2001 gibt es bundesweit immer wieder radikalisierte Einzelfälle. In Wolfsburg gab es eine Verbindung zur Sauerland-Gruppe (2007 schmuggelte ein Jugendlicher Sprengstoffzünder für die deutsche Terror-Zelle). Wir haben das Thema seitdem verfolgt, ohne dass wir ein spezielles Wolfsburger Problem wahrgenommen haben. Den betroffenen Familien war vermutlich die örtliche Szene längere Zeit vor uns bekannt. Aber bei der Kommune hatte sich niemand gemeldet. Die Gründe dafür sind vermutlich vielfältig und reichen von Scham, mangelndem Vertrauen in Institutionen bis hin zu der Frage, wohin sie sich wenden sollten. Es ist zu vermuten, dass es Kontakte zur Polizei, zum Staatsschutz und zum Verfassungsschutz gab, allerdings existierte zu diesem Zeitpunkt weder in Niedersachsen noch in Wolfsburg eine Anlaufstelle für Betroffene oder Angehörige. Die Situation in Wolfsburg wurde der Kommune dann durch eine Kette von Zufällen vor der örtlichen Berichterstattung bekannt.
Wir sind als Kommune auf Polizei, Staatsschutz und Verfassungsschutz zugegangen, um einerseits im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten Informationen auszutauschen, und zum anderen eine erste Idee für eine Präventions- und vor allem Netzwerkstrategie zu entwickeln.
Kurze Zeit später wurde öffentlich, dass 2013/2014 ca. 20 Personen aus Wolfsburg nach Syrien ausgereist sind.
Heute wissen wir, dass die Radikalisierung über einen Anwerber eine Szene erreichte, die sich seit frühester Jugend kannte und über diese Beziehungsebene für die Ideen empfänglich war. Hier wird die starke Bedeutung von Peergroups deutlich. Der Anwerber und diejenigen, die zum Teil schon ausgereist waren, konnten offenbar einfache Antworten geben und dem Gefühl der Ohnmacht und Ablehnung Anerkennung, Zugehörigkeit, Macht und Geld entgegensetzen. Veranstaltungen in angrenzenden Gebietskörperschaften durch „Idole“ wie Denis Cuspert und andere haben vermutlich zu einer Verstärkung und Festigung der Gruppe geführt. Inwieweit das Internet darüber hinaus eine Rolle gespielt hat, kann nur vermutet werden. Mit Sicherheit wurde darüber kommuniziert und eine „Welt“ geschildert, die alles versprach, über Filme wurden Bilder vermittelt, die den jungen Männern die Versprechungen machten, ihre jetzige Situation monetär verändern zu können, ihnen Bedeutung und Geltung zu verschaffen. Sie entwickelten das Gefühl, sie würden dort gebraucht, kämpften für eine heilige Sache, sie seien das Gute, alle anderen die Ungläubigen, die Bösen.
Im Dialog mit den Glaubensgemeinschaften stellten wir sowohl unklares, wie auch unsicheres Verhalten im Umgang mit diesen Gruppen, die dort bekannt waren, fest. Ausgrenzung aus Sorge vor öffentlichen Repressalien war genauso zu finden wie indifferente Duldung. Die Gruppe war durch ihre radikalen Ansichten aufgefallen und erhielt daraufhin in einer Moschee ein Hausverbot, während sie sich anschließend in einer anderen regelmäßig traf, ohne dass dort interveniert wurde. Durch die öffentliche Berichterstattung gerieten die Wolfsburger Moscheen in den Fokus und distanzierten sich öffentlich von jeglicher Form von Radikalisierung.
Durch die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema „Radikalisierung“ wurde deutlich, dass das Thema auch eigene sozialpädagogische Einrichtungen erreicht hatte. Eltern, Lehrerinnen und Lehrern, Freundinnen und Freunden, Kollegen oder Kolleginnen, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern fehlten Kenntnisse über die Anzeichen einer Radikalisierung und die notwendigen Instrumente, um dieser entgegenzuwirken. An vielen Stellen herrschte Ratlosigkeit und Unsicherheit.
Aufbau von Strukturen
In den letzten Jahren wurde auf verschiedenen Ebenen daran gearbeitet, intern und extern tragfähige Strukturen aufzubauen bzw. vorhandene Strukturen in die Arbeit zu integrieren.
Intern
AG Prävention
Zum Aufbau, zur Steuerung und zur Reflektion der Dialogstelle Extremismusprävention wurde eine AG Prävention gebildet, bestehend aus den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Dialogstelle, der Leitung der Abteilung Prävention, der Leitung der Abteilung Jugendförderung, der Leitung des GB Jugend und Schule sowie der zuständigen Dezernentin für Jugend, Bildung und Integration. Hier wurden Informationen aus den unterschiedlichen Ebenen und Kontakte gebündelt, die Konzeption der Dialogstelle weiterentwickelt, der Dialog mit Institutionen, Stadtgesellschaft und Politik geplant, Maßnahmen und Programme diskutiert und aktuelle Fälle besprochen sowie die weitere Vorgehensweise erörtert.
Lenkungsrunde Kriminalprävention
Die Stadt Wolfsburg verfügt seit vielen Jahren über eine Lenkungsrunde Kriminalprävention, in der, neben dem städtischen Jugend- und Ordnungsbereich, die Polizei, die Justiz und auch die Schulen vertreten sind. Dieser Kreis von Expertinnen und Experten beschäftigt sich inzwischen ebenfalls mit dem Thema „Neosalafistische Gewalt und Radikalisierung“ und bettet es in die gemeinsame Präventionsarbeit ein. Zugleich werden über diesen Weg auch die staatlichen Sicherheitsbehörden und Mitwirkende an den stadtweiten Präventionsprojekten beteiligt. Die Lenkungsrunde Kriminalprävention wird zu diesem Themenkreis um weitere Expertinnen und Experten situativ und themenbezogen erweitert, um zum Beispiel auch Organisationen der Glaubensgemeinschaften an dieser Stelle einzubinden. Damit soll die Passgenauigkeit von Maßnahmen und Projekten gesichert und im Weiteren evaluiert werden. Eingebunden ist auch Streetlife, der kommunale Fachdienst für Kriminalprävention, der seit 2004 besteht und sich aus Mitarbeitenden von Polizei, Ordnungsamt und Jugendamt zusammensetzt. Streetlife sucht Orte auf, an denen sich Jugendliche aufhalten. Hier treten die Mitarbeitenden in den Dialog mit den Jugendlichen, damit frühzeitig die Bedürfnisse der Jugendlichen erkannt werden und keine sogenannten „Brennpunkte“ entstehen. Zu dem Konzept gehört auch der aktive Dialog mit Anwohnern der sogenannten „jugendtypischen Orte“, um möglichst gemeinsam an Lösungen zu arbeiten und gegenseitiges Verständnis zu wecken.
Zentrale Anlaufstelle
Die Dialogstelle Extremismusprävention ist die zentrale kommunale Anlaufstelle in Wolfsburg für Bürgerinnen und Bürger, Institutionen, Vereine und Verbände sowie interne und externe Ressorts für Extremismusprävention und Demokratieförderung.
Clearingstelle/Case Management
Die Dialogstelle ist erste Clearingstelle für ein systematisches Case Management. Sie begleitet Angehörige und Sympathisierende, Mitläuferinnen bzw. Mitläufer und Aktivistinnen bzw. Aktivisten, junge Szeneeinsteigerinnen und -einsteiger in enger Zusammenarbeit mit beRATen e. V. sowie Aktion Neustart in Hannover. Dabei kann auf die langjährige Erfahrung eines Mitarbeiters im Themenfeld ambulante Täterarbeit aufgebaut werden. Die Dialogstelle ist Anlaufstelle für Institutionen intern/extern, Vereine und Verbände, wenn Auffälligkeiten oder Veränderungen bei jungen Menschen oder Familien festgestellt werden, um in ein entsprechendes Case Management überzuleiten oder gegebenenfalls andere Maßnahmen wie Qualifizierungen, Informationsveranstaltungen oder andere Interventionen einzuleiten.
Beratung/Begleitung
Die Dialogstelle begleitet insbesondere Bildungsinstitutionen bei der Auseinandersetzung mit dem Thema Islamismus und Radikalisierung, organisiert individualisierte, auf die jeweiligen Institutionen bezogene Studientage und Workshops und berät in Kooperation mit den Netzwerkpartnern beim pädagogischen Umgang mit radikalisierten Jugendlichen und Familien.
Extern
Einrichtungs- und behördenübergreifendes Netzwerk und Fallmanagement
Notwendig ist die Vernetzung mit den Sicherheitsbehörden vor Ort und die Vernetzung mit Präventionsstellen und Angeboten auf Landesebene. Unter Berücksichtigung aller unterschiedlichen Rollen ist der Aufbau von gelingenden Kommunikationsstrukturen ein entscheidendes Element für eine gelingende Prävention vor Ort.
Nach den Erfahrungen in Wolfsburg, aber auch anhand von Erkenntnissen aus anderen Kommunen und Bundesländern ist es erforderlich, ein einrichtungs- und behördenübergreifendes Netzwerk und Fallmanagement mit klaren Kommunikations- und Verantwortlichkeitsstrukturen zu etablieren. Hierbei geht es sowohl um Prävention, Fallbearbeitung von radikalisierten Personen, Familien und Kindern als auch um den Umgang mit Rückkehrern und Rückkehrerinnen.
Netzwerkarbeit Communities
Ein weiterer Baustein der Arbeit der Dialogstelle ist der Aufbau von intensiven Netzwerkkontakten in die Communities. Dazu gehören die Moscheen sowie unterschiedliche Vereine der tunesischen, schiitisch-libanesischen, kurdischen und arabischen Community. Angestrebt sind regelmäßige Kontakte, der Aufbau von Vertrauen, die Entwicklung gemeinsamer Projekte sowie die gemeinsame Auseinandersetzung über unterschiedliche Themen. Vertreterinnen und Vertreter der Migrantinnen- und Migrantenorganisation und Moscheen sollen in die bestehenden Netzwerke aktiv eingebunden und in die Verantwortung genommen werden. „Wir wollen nicht übereinander reden, sondern miteinander!“ Wichtig ist dabei auch der Aspekt, gegenseitiges Wissen über einander zu erlangen und in die gemeinsame Arbeit einfließen zu lassen.
Kulturvereine werden aktiv begleitet und in Netzwerke eingebunden. Sie sind als Teil der Zivilgesellschaft stärker in den Blick und in die finanzielle Förderung zu nehmen. Im Fokus steht auch die Unterstützung einer eigenen Jugendarbeit auf der Basis der verankerten Qualitätsstandards von offener Jugendarbeit in der Stadt Wolfsburg. Migrantinnen und Migranten mit Kindern sollen zukünftig stärker in den Blick genommen werden und aktive Unterstützung bei der Erfüllung ihrer Erziehungsaufgaben erhalten. Hierzu ist die seit Oktober 2014 bestehende Anlaufstelle der Stadt für Väter einzubeziehen – das Interkulturelle Väterbüro. Das Väterbüro möchte Wolfsburger Väter aus allen Kulturkreisen bei der Erziehung und Bildung ihrer Kinder unterstützen und zu mehr Verantwortung bewegen. Gleichzeitig bildet die Stadt seit 2009 Stadtteilmütter als kulturelle Brückenbauerinnen aus und erleichtert ihnen durch intensive Schulung ihre Integration in Wolfsburg – auch sie sind in den Blick zu nehmen.
Qualifizierungs- und Weiterbildungsprogramme/Tagungen und Veranstaltungen Fachkräfte sensibilisieren und sprachfähig machen
Es ist zu wenig über das Phänomen der Radikalisierung, des Islamismus etc. bekannt. Information und Aufklärung ist eine Grundvoraussetzung, um geeignete Präventionsstrategien zu implementieren.
Im Rahmen der Sekundärprävention sollen pädagogische Fachkräfte stetig informiert und weiter sensibilisiert werden. Im Rahmen von Fachtagungen und Informationsveranstaltungen findet die Auseinandersetzung mit dem Phänomen „Islamismus/Salafismus“ statt. Mitarbeitende in Jugendarbeit, im Allgemeinen Sozialen Dienst, in Wohlfahrtsverbänden und Schulen sollen Anzeichen einer Radikalisierung erkennen können und wissen, an wen sie sich im Verdachtsfall wenden können.
Gleichzeitig ist es notwendig, den überregionalen/internationalen Austausch im Rahmen von Tagungen oder Veranstaltungen wahrzunehmen. Hier besteht die Chance, Erkenntnisse miteinander auszutauschen, voneinander zu lernen und in den Dialog mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Forschung zu treten. Zudem können hier die Wirkung von Landes- und Bundesprogrammen reflektiert und entsprechende Rückmeldungen aus der kommunalen Ebene aufgenommen werden.
Interkultureller Austausch/Gesellschaftliche Verantwortung stärken
Im Fokus stehen hier die Stärkung des Stadtdialoges, die Entwicklung demokratiefördernder Maßnahmen zur Aufklärung und Vorbeugung sowie die Entwicklung von Maßnahmen im Rahmen der Primärprävention für alle Kinder und Jugendlichen.
Dabei geht es auch darum, dass Sicherheit durch Stärkung demokratischer Beteiligung, schulische, außerschulische und speziell politische Bildung gestärkt und extremistischen Tendenzen entgegengewirkt wird sowie dass Fremdenfeindlichkeit, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Rassismus und terroristische Tendenzen keine Zustimmung erfahren. Dabei sind Orte und Formate für den kulturellen, interreligiösen und spirituellen Austausch auf- und auszubauen sowie Partnerinnen und Partner zu gewinnen, um im Zuge der schulischen, außerschulischen und politischen Bildung über Kultur und Religion zu informieren und somit Zerrbildern und Vorurteilen entgegenzutreten. Wichtig ist hier auch, die Auseinandersetzung mit Themen wie Kultur, Religion, Extremismus usw. zu fördern und dabei Schulen und weitere Bildungseinrichtungen in der Auseinandersetzung mit o.a. Themen zu unterstützen. Von Beginn an wurden in der Dialogstelle Materialien für die Öffentlichkeitsarbeit entwickelt, um die Arbeit der Dialogstelle bekannt zu machen.
Programmarbeit
Zur Umsetzung der Bausteine Netzwerkarbeit Communities und Interkultureller Austausch/Gesellschaftliche Verantwortung stärken wurden in den Jahren 2015/2016 zwei Programme in die Arbeit der Dialogstelle Jugendschutz integriert.
Demokratie Leben
„Demokratie leben! - Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“

Seit Juni 2015 ist die Stadt Wolfsburg in das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ aufgenommen. Das Programm, gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, unterstützt den offensiven Dialog der Dialogstelle Extremismusprävention lokal und systematisch und fördert verschiedenste Maßnahmen und Projekte, die der Demokratieförderung und der Extremismusprävention dienen. Im Rahmen von lokalen „Partnerschaften für Demokratie“ hat sich die Stadt Wolfsburg mit Verantwortlichen aus der kommunalen Politik und Verwaltung sowie Aktiven aus der Zivilgesellschaft auf den Weg gemacht, Partizipation und gesellschaftliche Teilhabe auf der Basis von demokratischen Werten zu stärken. In diesem Zuge können Akteurinnen und Akteure der Stadt Wolfsburg Finanzmittel für Maßnahmen/Projekte und Aktionen beantragen.

Zentrale Akteurinnen und Akteure in der Umsetzung des Programms in Wolfsburg sind Kinder und Jugendliche, die im Rahmen vom Jugendforum eigene Finanzmittel haben, um Projekte umsetzen zu können, sowie die Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft, der Politik und der Verwaltung. Das Programm wird in Verantwortung der Akteurinnen und Akteure umgesetzt und von ihnen im Rahmen eines lokalen Begleitausschusses gesteuert. Dieser bestand bei seiner Gründung aus Vertreterinnen und Vertretern von Schulen, der Politik, der muslimischen Communities, vom Zentrum Demokratische Bildung Wolfsburg, von Jugendorganisationen, Flüchtlingsorganisationen, der jüdischen Gemeinde sowie aus unterschiedlichen Verwaltungsbereichen. Weitere interessierte Organisationen sind jederzeit willkommen. Die Arbeit des Begleitausschusses wird unterstützt von Coaches des Bundesprogramms. Mit den Bundesmitteln, die dem Begleitausschuss zur Verfügung stehen, sollten im ersten Schritt insbesondere Migrantenorganisationen ermutigt und motiviert werden, eigene Projekte zur Demokratieförderung auf den Weg zu bringen und sich damit intensiv in den Prozess mit einzubringen. Aber auch alle anderen Gruppierungen und Vereine sind eingeladen und aufgerufen, Ideen und Projekte im Kontext Demokratieförderung/Demokratische Bildung zu initiieren und Mittel hierfür zu beantragen. Halbjährlich wird das Projekt immer erneut in der Wolfsburger Presse mit einer öffentlichen Ausschreibung beworben. Entstehen soll so ein bunter Strauß von Aktionen, der in die Wolfsburger Stadtgesellschaft hineinwirkt und die demokratischen Grundsätze sichtbar macht und festigt.
Insbesondere die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Demokratieförderung bettet sich in den Aktionsplan ein, der seit der Verleihung des Siegels „Kinderfreundliche Kommune“ am 25. November 2014 in der Stadt Wolfsburg umgesetzt wird.
Dialog macht Schule
Die Stadt Wolfsburg nahm 2016 erstmalig am Bildungsprogramm „Dialog macht Schule“ teil. Die Dialog macht Schule GmbH wurde 2013 von Siamak Ahmadi und Hassan Asfour aus einem Modellprojekt heraus gegründet. Dieses Modellprojekt unter dem Namen „Jugend, Religion, Demokratie: Politische Bildung mit Jugendlichen in der Einwanderungsgesellschaft“ wurde 2009 von der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb und der Robert Bosch Stiftung auf den Weg gebracht. Die beiden Gründer wirkten bei der Konzeption der Ausbildung mit und entwickelten das Projekt inhaltlich und methodisch zu seiner heutigen Form weiter.
Es handelt sich hierbei um ein Programm über zwei Jahre, bei dem Studierende zu Dialogmoderatorinnen und -moderatoren ausgebildet werden und anschließend mit Schülerinnen und Schülern aus sozial schwierigen Lagen zusammenarbeiten. Mit Hilfe von dialogischen und lernaktivierenden Arbeitsweisen werden Zugänge zu den Themen Persönlichkeitsentwicklung, demokratische Handlungsfähigkeit und gesellschaftliche Partizipation ermöglicht.
Das Ziel ist es, dass junge Menschen ihre multikulturelle Identität als Potenzial erkennen und sich als aktive Gestaltende ihres Lebens in der Gesellschaft wahrnehmen. In der Grundausbildung lernen die Dialogmoderatorinnen und -moderatoren, geschützte Vertrauensräume zu schaffen sowie die neuesten lernaktivierenden Methoden, um die personalen, sozialen, moralischen und demokratischen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler zu stärken.
Nach Abschluss der zweijährigen Tätigkeit als Dialogmoderatorin bzw. -moderator erhalten die Studierenden ein Zertifikat, welches anschließend weiterhin im Alumni Netzwerk von „Dialog macht Schule“ genutzt werden kann. „Dialog macht Schule“ kann bereits vor Abschluss des Studiums eine Möglichkeit darstellen, praktische Erfahrungen im Umgang mit jungen Menschen in Gruppen zu erlangen.
Des Weiteren stellt die Ausbildung zur Dialogmoderatorin bzw. zum Dialogmoderator eine angesehene Zusatzqualifikation dar, welche oftmals im späteren beruflichen Kontext von Vorteil ist.
Das Projekt „Dialog macht Schule“ ist nach seiner zweijährigen Pilotphase an einer Wolfsburger Hauptschule mit zwei Dialoggruppen in Wolfsburg beendet worden. Für die Schülerinnen und Schüler der ausgewählten Referenzschule stellte das Programm einen erfolgreichen Zugewinn an sozialer und interkultureller Kompetenz dar. Herausfordernd erwies sich aber für einen nicht sozialpädagogisch geprägten Universitätsstandort die langfristige Akquise von studentischen Moderatorinnen und Moderatoren, um das Projekt in die Fläche der Wolfsburger Schullandschaft zu bringen.
Einbettung der Prävention gegen Extremismus in die strategischen Zielfelder Bildung und Integration der Stadt Wolfsburg
Zur Prävention gehört eine gelingende Bildungsbiografe, daher gehören alle Maßnahmen, die in diesem Feld initiiert werden, ebenfalls zu einer gelingenden Gesamtstrategie.
Die Stadt Wolfsburg hat seit 2009 allmählich ein strategisches Bildungsmanagement aufgebaut. Unter Federführung des Bildungsbüros wurden auf Basis eines mit der Zivilgesellschaft entwickelten und vom Rat der Stadt Wolfsburg verabschiedeten Bildungsverständnisses und der Erkenntnisse einer Bildungsberichterstattung Handlungsfelder definiert und Maßnahmen entwickelt. Die Bildungsberichterstattung erstreckt sich entlang der Bildungsbiografe von der frühkindlichen Bildung bis zur Erwachsenbildung und liefert uns Erkenntnisse für den Landes- und Bundesvergleich. Wolfsburg gehört damit zu den Kommunen in Deutschland, die nicht nur frühzeitig mit einer systematischen und kontinuierlichen Bildungsberichterstattung begonnen haben, sondern auch kontinuierlich mit den Analysen, Daten und Empfehlungen arbeiten. Die Stadt Wolfsburg hat mit dem Land Niedersachsen die Kooperationsvereinbarung “Bildungslandschaft Wolfsburg“ abgeschlossen. Das Land fördert in dem Rahmen eine halbe Lehrerstelle, die im Bildungsbüro angesiedelt ist. Im Rahmen der staatlich-kommunalen Verantwortungsgemeinschaft erarbeiten Kommune und Land gemeinsam Maßnahmen entlang der Bildungsbiografe zum Abbau zuwanderungsbedingter Unterschiede.
Teilfinanziert über Förderprogramme beschäftigen sich im Bildungsbüro eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter mit der Bildungskoordination von Neuzugewanderten (BMBF) und der Sprachförderung (Land Niedersachsen) in der Stadt Wolfsburg. Der Aufbau von Strukturen in und mit den Institutionen erfordert allseits einen sensiblen Blick auf die jeweiligen Handlungsfelder.
Gleichzeitig arbeitet die Stadt Wolfsburg daran, die Zusammenarbeit zwischen den Verantwortlichen für frühkindliche Bildung, Erziehung und Betreuung, Schule, Kinder- und Jugendhilfe, Kultur sowie Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu stärken und eine kommunale Verantwortungsgemeinschaft zu entwickeln. Aufgrund der unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten der Bildungsbeteiligten bieten sich verschiedene Ansätze und Zugänge, die teilweise mangels Transparenz nicht aufeinander abgestimmt sind. Andererseits bietet diese Vielfalt auch Chancen. Hier gilt es, ein gemeinsames Verständnis der Zusammenhänge zu erarbeiten und die Schwerpunktsetzung für Entwicklungen der Bildung zu unterstützen.
Steuerungsstrukturen
Die kommunalen Steuerungs- und Kommunikationsstrukturen, die 2014/15 entwickelt wurden, haben sich etabliert und sind sowohl verwaltungsintern als auch mit externen Netzwerkpartnern abgestimmt.
In der Lenkungsrunde Kriminalprävention wurde und wird die Ausrichtung für die Weiterentwicklung der Präventionsarbeit der Dialogstelle dem Grundsatz nach abgestimmt. Diese Verankerung hat sich bewährt, da eine enge Verzahnung zwischen Sicherheit und Prävention für den Erfolg der Arbeit der Dialogstelle unabdingbar ist. Die konkrete Ausgestaltung wird nach wie vor in der Arbeitsgruppe Prävention begleitet. Für den Erfolg der Arbeit der Dialogstelle ist eine gute Kommunikationsstruktur sowohl vertikal, wie auch horizontal, innerhalb der Verwaltung, erforderlich.

Die dargestellte Struktur bildet den Rahmen und gewährleistet die Bündelung von Informationen auf allen Ebenen, jedoch erfordert die Arbeit agile Elemente. Die Dialogstelle muss sich zum Informationsaustausch auf allen Ebenen bewegen können, bekannt sein und immer wieder neue temporare Arbeitsgruppen zu bestimmten Themenstellungen bilden. Die Dialogstelle in diesem vergleichsweise jungen Handlungsfeld steht vor verschiedenen Herausforderungen. Die Wirkungen von Präventionsmasnahmen sind zum einen vielfach noch nicht durch wissenschaftliche Untersuchungen belegt, und es gibt inzwischen eine Flut von Programmen und Projekten, aus denen für die jeweilige Kommune mit Bedacht ausgewählt werden muss. Zum anderen ist die Wirksamkeit der Präventionsmaßnahmen unserer Auffassung nach von verschiedenen Faktoren abhängig:
- Fachliche Besetzung der Dialogstelle Extremismusprävention
- Entwicklung von Zielen – regelmäßige Evaluation
- Verankerung der Dialogstelle in der Stadtverwaltung, der Stadtgesellschaft, der Vernetzung
- zwischen staatlichen Institutionen und Landespräventions- und -Beratungsstellen
- Strukturiertes Kommunikations- und Case Management
- Transparenter, sicherheitsrelevanter Dialog mit den Sicherheitsbehörden
- Zugange und Vernetzung mit den Bildungsinstitutionen Kita und Schule
- Qualifikation der Pädagogen und Pädagoginnen sowie Partnerinnen und Partner in der Netzwerkarbeit
Auf der Basis haben wir drei wesentliche Säulen für die kommunale Präventionsarbeit der Dialogstelle Extremismusprävention entwickelt:
Säule 1 Professionalisierung
Dialogstelle Extremismusprävention
Im Hinblick auf die Qualifikation haben wir dafür Sorge getragen, dass das eingesetzte Personal über eine fundierte pädagogische Ausbildung mit entsprechender Beratungskompetenz und Erfahrungen im Case Management verfügt und mit Phänomenen des religiösen Extremismus vertraut ist. Darüber hinaus war uns wichtig, ein Team aus Männern und Frauen zusammenzusetzen und Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen einzusetzen, die über dieselbe nationale Herkunft oder über vergleichbare Migrations- und Sozialisationserfahrungen sowie Sprachkompetenzen verfügen.

Das multiprofessionelle Team besteht derzeit aus zwei Männern und einer Frau. Neben Zusatzqualifikationen wie einer gestaltsoziotherapeutischen, Gewaltberater- und tätertherapeutischen Ausbildung sowie einer Qualifizierung als Fachkraft für Kriminalprävention des Landes Niedersachsen besteht eine jahrelange Erfahrung in den Feldern aufsuchende Jugendarbeit, Arbeit mit unterschiedlichen Jugendszenen (rechte Szene, Ultraszene/Fanarbeit, Drogenarbeit, Täterarbeit), Gewaltberatung, Männerberatung, Jugendberatung, Arbeit mit (unbegleiteten minderjährigen) Flüchtlingen, interkulturelle Jugendarbeit, Erfahrungen im allgemeinen Sozialen Dienst und Netzwerkarbeit mit unterschiedlichen Partnern im Feld. Zur Qualifikation im Feld wurden folgende Zusatzqualifikationen erworben: „Coach Dialog macht Schule“ sowie „Neosalafismus Prävention“ der Zentrale für politische Bildung. Coaching (als Prozessbegleitung) und Supervision gehören ebenfalls zu den Qualitätsmerkmalen der Arbeit in der Dialogstelle.

Das Aufgabenprofil erfordert einerseits das Managen der unterschiedlichen internen und externen Netzwerke und der damit verbundenen Aufgaben und Projekte, andererseits das sich Einlassen auf unterschiedliche wechselnde Beratungssettings. Diese reichen von der Beratung von Institutionen im Umgang mit Tendenzen salafistischer Phänomene über die Beratung von Eltern/Angehörigen bis hin zur Beratung von gefährdeten jungen Erwachsenen. Zur Professionalisierung gehörte auch eine Fokussierung im Hinblick auf das Aufgabenprofil der Dialogstelle. Während sie zu Beginn der Tätigkeit neben der Netzwerkarbeit und Beratung in allen Feldern der Prävention (primär – tertiär) selbst tätig war, war es er förderlich, hier eine deutliche Prioritätensetzung vorzunehmen.

Inzwischen ist die Dialogstelle im Rahmen der Primärprävention initiativ und begleitend tätig, führt aber selbst keine Projekte mehr durch. In dem Zuge wurde die Dialogstelle Jugendschutz umbenannt in Dialogstelle Extremismus-prävention, weil inzwischen die Erkenntnis gereift war, dass die Phänomene vielschichtig sind und sich nicht allein auf die Zielgruppe Jugendliche und junge Erwachsene reduzieren lassen. Das Phänomen extremistischer Salafismus ist inzwischen in der Breite der Institutionen angekommen. Er begegnet uns in allen Schulformen, Kindertagesstätten, in der Jugendhilfe, in berufsvorbereitenden Maßnahmen, in Betrieben, in Vereinen usw.
Qualifizierung von Multiplikatoren
Die Dialogstelle ist inzwischen als zentrale Anlauf- und Beratungsstelle innerhalb und außerhalb der Verwaltung für das Thema Extremismusprävention bekannt. Sie wird als Expertenstelle anerkannt und von vielen Institutionen bei entsprechenden Fragestellungen hinzugezogen. Informationen können so gebündelt werden. In einem ersten Schritt haben immer wieder Sensibilisierungsmaßnahmen für unterschiedliche Zielgruppen aus der Jugendhilfe, Schulen und Kindertagesstätten stattgefunden. Darüber hinaus hat es Fortbildungsveranstaltungen für ganze Kindertagesstätten-Teams oder Schulkollegien gegeben.
Intensiviert wurden diese Maßnahmen insbesondere während des Zuzuges von Geflüchteten in den Jahren 2015/2016 für Mitarbeitende in Flüchtlingsunterkünften, Ehrenamtliche und die Institutionen, die mit der Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten beauftragt waren. Dies hat sich zum einen bewährt in der Auswahl von Ehrenamtlichen für die Arbeit mit Geflüchteten und deren Zugangskontrolle, zum anderen hat sich gerade in der Arbeit mit minderjährigen Geflüchteten ein sogenanntes UMA-Netzwerk gebildet, das bis heute in intensiven Fallkonferenzen zusammenarbeitet und in ständigem Informationsaustausch steht.
Täterarbeit als Seismograph in der Lebenswelt junger Männer und Frauen
Seit über zehn Jahren existiert mit dem Arbeitskreis Jugendkriminalität und dem Jugendgericht des Amtsgerichtes Wolfsburg die Vereinbarung, junge Gewalttäterinnen und -täter mit einer Beratungsauflage zu versehen. Diese Herangehensweise mit verurteilten, vorwiegend männlichen Gewalttätern hat sich in Wolfsburg als zukunftsträchtige Präventionsmaßnahme bewährt. Aus der Erfahrung heraus wissen wir, dass Männer im Allgemeinen nicht freiwillig zu einer Beratung gehen. Die Täterarbeit folgt dem Ansatz einer phänomenologischen, emotionsbezogenen, systemischen und genderorientierten Herangehensweise. Inhaltlich wird mit den jungen Männern, nach dem Kennenlern- und Motivationsgespräch, ein langfristiger, stabilisierender Beratungskorridor, nebst Zielvereinbarung, vereinbart.
Mit dieser Beratungsauflage als „karrierebegleitende Maßnahme“ erhalten wir wertvolle Einblicke in die sich schnell verändernden Jugendthemen und Subkulturen. Ziel ist in der Arbeit mit den Gewalttätern die Übernahme von Verantwortung für die Tat und die bewusste Entscheidung zum zukünftigen Gewaltverzicht. Am Ende soll eine selbstverantwortliche und „gesunde Lebensführung“ auf Seiten der jungen Männer stehen. Damit ist die Täterberatung ein nicht zu unterschätzendes Instrument in der Früherkennung (des Gefährdungspotenzials) der Radikalisierungsprävention im Wolfsburger Präventionsweg. Ebenfalls stellt sich die Frage nach einer Erweiterung der Täterberatung für Mädchen und junge Frauen, die auch über die Gerichte als Weisung/Auflage angeordnet werden kann. Derzeit sind für diesen Arbeitsbereich noch keine fachlichen Kompetenzen vorhanden.
Säule 2 Moderierte Netzwerkstrukturen
Kenntnisse der sozialräumlichen und institutionellen Entwicklungen
Hilfreich für die Entwicklung von Netzwerkstrukturen in der Kommune sind Kenntnisse über die sozialräumlichen und institutionellen Entwicklungen in einer Stadt. In Wolfsburg haben wir unterschiedliche Quellen, um gerade die sozialräumlichen Entwicklungen analysieren zu können. Neben dem Sozialbericht und dem Bildungsbericht gibt es unterschiedliche Befragungen von Zielgruppen, wie beispielsweise Jugendliche, Familien etc. Aber auch Schulentwicklungsberichte oder ein Kitaentwicklungsplan lassen Rückschlüsse auf die jeweiligen Entwicklungen in den einzelnen Quartieren zu. Hier werden unterschiedliche Kommunikationsstrukturen und Routinen in und zwischen Institutionen genutzt, außerhalb und innerhalb der Stadtverwaltung, die in den vergangenen Jahren aufgebaut wurden. Die Dialogstelle Extremismusprävention hat in den letzten Jahren alle Möglichkeiten genutzt, um sich in den Netzwerken und Strukturen bekannt zu machen und Hauptfelder für Prävention und Intervention zu eruieren.
Kommunikationsmodell – interdisziplinär und überregional
Eine der wesentlichen Herausforderungen zu Beginn der Arbeit der Dialogstelle war die mangelnde Kooperation und Kommunikation zwischen Sicherheitsbehörden und den Akteurinnen und Akteuren der Präventionsarbeit vor Ort. Die unterschiedlichen Rechtskreise/rechtlichen Voraussetzungen stehen sowohl der Kommunikation zwischen Polizei, Staatsschutz und Verfassungsschutz untereinander im Wege als auch der Kommunikation und Zusammenarbeit mit Pädagoginnen und Pädagogen, die in der aufsuchenden Präventionsarbeit vor Ort arbeiten. Im Rahmen der Arbeit der Sicherheitsbehörden vor Ort wurde jedoch deutlich wahrgenommen, dass ein Bündel von Informationen und Erkenntnissen durch die Sozialarbeit in den Communities, Schulen, Jugendeinrichtungen etc. vorlag, das durchaus für deren Ermittlungsarbeit sinnvoll sein könnte. Aber Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Präventionsarbeit sind keine informellen Mitarbeitenden beispielsweise des Verfassungsschutzes oder der Polizei, solange es sich nicht um Kenntnisse von Straftaten handelt. Im Sinne einer gelingenden Zusammenarbeit kann Kommunikation auch keine Einbahnstraße sein, sondern muss ermöglichen, Informationen zu bündeln und im Sinne eines zielgerichteten Case Managements eine gute Präventionsstrategie zu ermöglichen.
Um in der nicht ganz einfachen Gemengelage zu konstruktiven Lösungen zu kommen, wurde auf Basis einer gemeinsamen Initiative der Stadt Wolfsburg und des Fachbereiches Prävention des Niedersächsischen Verfassungsschutzes eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen. Diese hat die Aufgabe, im Rahmen eines Netzwerkes vor Ort ein abgestimmtes Kommunikationsmodell mit kommunalen und überregionalen Partnern zu entwickeln. Zu diesen Partnern zählen Personen aus der Dialogstelle Extremismusprävention, der Polizeiinspektion Wolfsburg/Helmstedt, des Staatsschutzes, der Präventionsstelle Politisch Motivierte Kriminalität des Landeskriminalamtes (LKA), des Fachbereiches Prävention des Niedersächsischen Verfassungsschutzes, der Landespräventionsstelle, beRATen e. V., der Kompetenzstelle Islamismus Prävention Niedersachsen (KIP NI) und der Landesschulbehörde.

Sicherheit und Prävention müssen im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten eng und abgestimmt zusammenarbeiten und Strategien für die jeweiligen Felder abstimmen. Ein Ergebnis der Zusammenarbeit, die die Stadt Wolfsburg gemeinsam mit den Partnerinnen und Partnern in den letzten Jahren aufgebaut hat, mündet in einem gemeinsam erarbeiteten Leitfaden der o. g. Arbeitsgruppe „Kommunikationsmodell Islamismus Prävention Wolfsburg“. Kern des Kommunikationsmodells ist ein Netzwerk aus den o. g. Partnern und den unterschiedlichen Institutionen, Vereinen und Verbänden vor Ort. Im Rahmen einer entwickelten Melde- und Handlungsroutine gehen aus den unterschiedlichen Kontexten Meldungen bei der Dialogstelle Extremismusprävention ein. Auf dieser Basis werden Fallkonferenzen einberufen, die Federführung im Fall festgelegt und gemeinsame Strategien und Vorgehensweisen besprochen.
Der besondere Fokus der Arbeit liegt hier auf dem gemeinsamen Dialog aller beteiligten Institutionen mit dem Ziel, passgenaue Präventionsmaßnahmen vorzubereiten für den aktiven Kinder- und Jugendschutz und natürlich auch für den Schutz der Zivilgesellschaft vor radikalen Einflüssen in öffentlichen Einrichtungen und im sozialen Raum. Der gebündelte, kriminalpräventive und sozialpädagogische Ansatz der Arbeit der Dialogstelle wird dabei von allen Beteiligten respektiert und begrüßt.
Säule 3 Präventionsmaßnahmen
Universelle Prävention
Wir wollen im Vorfeld einer potenziellen Radikalisierung ansetzen und uns durch unsere Maßnahmen an Zielgruppen in der Bevölkerung richten, die durch keine spezifischen Risikofaktoren gekennzeichnet sind. Es handelt sich dabei um pädagogisch orientierte Angebote, die darauf abzielen, Wissen zu vermitteln, demokratische Prozesse und Projekte zu fördern, Vorurteile abzubauen und interkulturelle Lernprozesse zu initiieren. Mit diesem Schwerpunkt der Bildungsarbeit wollen wir Aufklärung, Dialog, Qualifizierung und Aktivierung der Zivilgesellschaft erreichen. Dazu nutzen wir in erster Linie die breite Angebotsstruktur in der Kommune.
Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit der Jugendförderung
Mit einem breiten Angebot an offener Kinder- und Jugendarbeit in den Stadtteilen durch Aktivspielplätze und Jugendeinrichtungen (offene Kinder- und Jugendarbeit) haben wir eine gute Basis für politische Bildung, um der aufkommenden Attraktivität von Eindeutigkeitsangeboten (Salafismus, Rechtsextremismus, Islamfeindlichkeit) zu begegnen. Dieses Angebot wird flankiert durch aufsuchende Arbeit an Treffpunkten junger Menschen, teils mit sportlichen, kulturellen und erlebnispädagogischen Angeboten der mobilen offenen Kinder- und Jugendarbeit. Das Kinder- und Jugendbüro ermittelt Kinder- und Jugendinteressen und initiiert und begleitet Beteiligungsprozesse. Mit Jugendforen werden die Wahrnehmung der Jugendinteressen und Partizipationsmöglichkeiten für Jugendliche in den Stadtteilen unterstützt und die Erfahrung von Mitbestimmung ermöglicht.
Ein weiterer Schwerpunkt der mobilen Arbeit ist das interdisziplinär arbeitende Team aus Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Polizei, des Ordnungsamtes und des Jugendamtes. Im Mittelpunkt der Aufgaben von „Streetlife“ steht die aufsuchende Arbeit im Stadtgebiet an von Jugendlichen stark frequentierten Orten. Die sozialraumorientierte, interdisziplinäre Aufstellung des Teams ermöglicht mehrperspektivische Sichtweisen als idealer Präventionshelfer im „gemeinsamen Lagebild“. Transparente und funktionierende Kommunikation, geregelte Kompetenzen und klare Absprachen zwischen beteiligten Institutionen bei Auffälligkeiten führen zur Konsensbildung. Die Zusammenarbeit mit anderen Behörden, Verbänden und Vereinen ist dazu unerlässlich. Regelmäßig stimmt sich das Team mit anderen Netzwerkakteurinnen und -akteuren zu unterschiedlichen Sachverhalten, Querschnittaufgaben und Strategien ab mit dem Ziel, Ressourcen zu bündeln, Planungen zu koordinieren und Förderketten aufzubauen. Angegliedert an das Fachkommissariat für Jugendsachen, in intensiver Zusammenarbeit mit der Justiz und der Bewährungshilfe, dem Allgemeinen Sozialen Dienst und Trägern der Jugendhilfe werden Schnittstellen zu relevanten Ressorts der Stadtverwaltung, Wolfsburger Schulen und Schulsozialarbeit, örtliche Sicherheitsrunden sowie Jugend- und Freizeiteinrichtungen gestaltet.
Sozialarbeit an Schulen
Alle Wolfsburger allgemeinbildenden Schulen sind Ganztagsschulen. Insbesondere in den Grundschulen wird der Ganztag in Kooperation mit Trägern der Jugendhilfe an fünf Tagen in der Woche bis 16:00 Uhr gestaltet. In Kooperation mit dem Land Niedersachsen gibt es an jeder Schule Schulsozialarbeit durch Landesbedienstete und kommunale Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Das Themenfeld Sozialarbeit an Schulen wird von der Abteilung Prävention verantwortet, in der auch die Dialogstelle Extremismusprävention angedockt ist. Sozialarbeit an Schulen unterstützt Kinder und Jugendliche bei Problemen im Lebensumfeld Schule, Familie und Freundeskreis. Sie sucht den Kontakt zur Familie und berät auf Wunsch auch in Erziehungsfragen. Ihre Aufgaben sind die Beratung und Begleitung von Schülerinnen bzw. Schülern, Eltern und Lehrkräften, Einzelfallhilfe und Krisenintervention, Entwicklung und Durchführung präventiver bzw. intervenierender Konzepte gemeinsam mit Lehrerinnen und Lehrern sowie externen Partnern, auch im Rahmen von Unterrichtsprojekten, und sozialpädagogischer Gruppenarbeit. Besonders die kommunalen Sozialarbeiterinnen und -arbeiter an den weiterführenden Schulen sollen dabei eine enge Vernetzung mit den anderen Angeboten der kommunalen, sozialen Beratungs- und Erziehungshilfelandschaft ermöglichen.
Ein zusätzliches Angebot der Schulsozialarbeit an allen Schulen ist die Akutberatung. Sie ist keiner Schule direkt zugeordnet und unterstützt Lehrerinnen bzw. Lehrer und Familien an den Grundschulen. Sie initiiert bei Bedarf Jugendhilfemaßnahmen und koordiniert die Netzwerke mit dem Allgemeinen Sozialen Dienst und anderen Partnerinnen und Partnern.
Familienzentren und Familienbildungsstätten
Weitere wichtige Orte im Rahmen der Primärprävention sind die mittlerweile zehn Familienzentren und das flächendeckende Netz der Kindertagesstätten. Hier werden alle Kinder ab drei Jahren und häufig auch schon im Krippenalter mit ihren Familien erreicht. Die Familienzentren in Wolfsburg sind in Stadtteilen angesiedelt, in denen der Anteil von Familien mit Migrationshintergrund und von Familien, die auf staatliche Leistungen angewiesen sind, besonders hoch ist. Deswegen wird dort das sozial-pädagogische Präventionsprojekt „Gemeinsam Wachsen“ gezielt angeboten. Dabei geht es um die Stärkung von Menschen, denen der Zugang zu Bildung wegen sprachlicher, wirtschaftlicher oder persönlicher Barrieren erschwert ist. Eine wichtige Rolle spielt auch die Familienbildungsstätte in Wolfsburg, die mit ihren dezentralen Angeboten in den Stadtteilen einen hohen Anteil von Familien unterschiedlicher sozialer und kultureller Herkunft erreicht und sie in Angebote zur Selbsthilfe niedrigschwellig einbindet. In den Familienzentren hat inzwischen kultursensibler Umgang mit Eltern und Kindern sowie auch Partizipation Eingang in die Konzeptionen gefunden.
Vernetzt ist das Angebot der Grundschulen, Kindertagesstätten, Familienzentren und Familienbildungsstätten mit dem langjährigen Angebot der Stadtteilmütterausbildung. Diese wird bereits seit Juni 2009 in Wolfsburg angeboten. Innerhalb dieser zehn Jahre nahmen insgesamt 171 Mütter mit Zuwanderungsgeschichte aus 36 Herkunftsländern und mit 16 verschiedenen Muttersprachen an der zehnmonatigen Schulung teil. Die ausgebildeten Stadtteilmütter haben sich seit Jahren als Brückenbauerinnen bewährt. Viele von ihnen sind in verschiedenen kommunalen und sozialen Einrichtungen im Einsatz und bilden auch wertvolle Brücken zu den unterschiedlichen Communities, insbesondere den Müttern. Wenn wir von kleinen interdisziplinären Netzwerken sprechen, die in den Institutionen und Stadtteilen gebildet werden sollen, sind die o. g. Institutionen und Angebote Fundamente, auf die wir bauen, die die Basis für Qualifizierungen von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren bilden und Orte sind, an denen niedrigschwellige und gezielte Präventionsmaßnahmen verankert werden.
Selektive Prävention
Die Angebote selektiver Prävention richten sich in erster Linie an die professionellen Akteurinnen und Akteure, wie etwa die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Jugendhilfe, der Schulen, der Polizei, der Vereine und Gemeinden (siehe Qualifizierung der Multiplikatoren). Schwerpunkte bilden neben dem geplanten Qualifizierungsprogramm der Multiplikatorinnen und Multiplikatoren die Begleitung von Teams in Schulen und Kindertagesstätten bei der Leitbild- und Konzeptionsentwicklung und die Sensibilisierung durch gezielte Fortbildungsmaßnahmen bei konkret auftauchenden Fällen.
Indizierte Prävention
Case Management und Clearingverfahren

Auf der Ebene der Stadt steht die Dialogstelle im Rahmen des vereinbarten Kommunikationsmodells im Zentrum und steuert das Clearingverfahren und Case Management. Mögliche Gefährdungen oder Auffälligkeiten sich radikalisierender junger Menschen werden beispielsweise über Angehörige, Vereine, Pädagoginnen und Pädagogen aus Kitas, Schulen oder Jugendeinrichtungen, dem Allgemeinen Sozialen Dienst oder dem Träger der Jugendhilfe gemeldet. Hier werden zunächst alle Informationen gesammelt und anschließend wird sich ein eigenes Bild von der Situation gemacht. Es folgt eine entsprechende Fallbeschreibung und Dokumentation. Auf dieser Basis erfolgt eine Einschätzung über die Gefährdung. Für die Entwicklung einer pädagogischen Intervention und Strategie wird ein Fachnetzwerk aktiviert und alle für die Bearbeitung notwendigen Fachleute werden zu einer Fallbesprechung eingeladen. Im Rahmen der Fallbegleitung wird das Netzwerk immer wieder zur Reflektion und zur Abstimmung miteinander korrespondierender Maßnahmen abgestimmt. Neben eigenen Beratungsangeboten werden andere Hilfen aktiviert oder gegebenenfalls wird an andere Beratungsangebote wie zum Beispiel beRATen e. V. oder Aktion Neustart verwiesen. Auf dieser Basis hat die Dialogstelle ein Modell für das Case Management in Wolfsburg entwickelt.
Zukünftige präventive Herausforderungen im kommunalen Handlungsfeld
Radikalisierungsprävention als kommunale Strategie
Auch wenn die Stadt Wolfsburg seit 2014 Erfahrungen im Bereich der Radikalisierungsprävention in der religiös gefärbten Konfliktlage sammeln konnte, befinden wir uns in einem dauerhaften multiperspektivischen Lernprozess auf mehreren Ebenen.
Der Krieg in Syrien, die Konflikte in und mit der Türkei, der Kurdenkonflikt, der Nahostkonflikt, der Vormarsch des Rechtspopulismus in Europa und in Deutschland, die wachsende Muslimfeindlichkeit, muslimischer Antisemitismus und die öffentlich geführten politischen Debatten zur Zuwanderung bis hin zu der Frage, ob der Islam zu Deutschland gehöre oder nicht, das alles hat Einfluss auf das Zusammenleben der unterschiedlichen Gruppen und Menschen in der Kommune. Es hat Einfluss auf die Diskussionen im Elternhaus, in der Schule, in pädagogischen Einrichtungen, am Arbeitsplatz. Und es hat letztlich Einfluss auf die Radikalisierung junger Menschen, die zunehmend auf den Kontext reagieren. Es ist wichtig, dies als Kommune aufzugreifen, zu thematisieren und durch Ausstellungen, Veranstaltungen, Medien usw. Alternativen zu extremistischen Interpretationen und Diskussionen zu bieten.
Aber mehr noch spielen auch die Lebensbedingungen vor Ort in der Kommune für den Einzelnen und die Familien eine große Rolle. Diskriminierung, negativer Einfluss von Peergroups, die unterschiedlichen individualisierten Lebensentwürfe, die Entwicklung von Flexibilität in der Arbeitswelt, Mobilität, Digitalisierung und die Bildung von Parallelgesellschaften stellen die lokale Demokratie vor Herausforderungen. Der offenkundige Vertrauensverlust vieler Bürgerinnen und Bürger in staatliche Institutionen stellt Kommunen vor Herausforderungen, so auch in Wolfsburg. Hier wird versucht, über die Beteiligung und Zusammenarbeit mit Bürgerinnen und Bürgern dem entgegenzuwirken. Dabei ist das Erreichen von Bevölkerungsgruppen, die sozial oder partizipativ abseits stehen – wie beispielsweise Gruppen in prekären Lebensverhältnissen, Migrantengruppen oder jüngere distanzierte Altersgruppen – mit neu zu entwickelnden Kommunikationsmethoden und Zugängen eine besondere Aufgabe. Die Zuwanderung der letzten Jahre hat die Kommune, neben der gesellschaftspolitischen Entwicklung, ebenfalls vor vielfältige Herausforderungen der Integration der unterschiedlichen Frauen, Männer, Jugendlichen, unbegleiteten Minderjährigen und Kinder aus unterschiedlichsten Nationen und Kulturen, mit unterschiedlichen aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen und Bildungsniveaus, gestellt. Integration und Prävention sind hier unbedingt miteinander zu verknüpfen.
Radikalisierte junge Menschen und ihre Familien sind Bewohnerinnen und Bewohner unserer Stadt, daher ist es unsere Aufgabe, uns mit ihren Beweggründen, Interessen und Motiven auseinanderzusetzen. Auch Rückkehrerinnen und Rückkehrer aus dem IS kommen in unsere Kommune, wir müssen uns gemeinsam mit den Sicherheitsbehörden darauf vorbereiten und entsprechende Maßnahmen ergreifen. Deren Anwesenheit, das Wissen um Gruppen Radikalisierter in unserer Stadt kann das Zusammenleben, den Ruf der Kommune und die Haltung von Wirtschaftszweigen beeinflussen.
Kommunen sind durch ihre Nähe zu den Bürgern, durch den direkten Kontakt, durch ihre Kenntnisse über die Problematiken vor Ort und durch die öffentlichen Leistungen, die sie in Jugend, Bildung, Gesundheit, Sport, Polizei und vielen anderen Bereichen erbringen, gute Anker für die Koordination von Maßnahmen der Radikalisierungsprävention.
Grundsätzlich sollten bei Fragen zur Radikalisierung von Jugendlichen durch rechtsextreme, religiös begründete oder generell menschenfeindliche Ideologien im Bereich der vielfältigen pädagogischen Angebote zuerst die kommunalen Strukturen vor Ort in Anspruch genommen werden und – soweit notwendig – über diese Kontakt zu Einrichtungen auf der Landesebene hergestellt werden.
Die Entwicklungen der letzten Jahre haben auch durch die veränderte politische Situation in den Räten, Landtagen und im Bundestag durch den Einzug der AfD deutlich gemacht, dass Radikalisierungsprävention gleichermaßen die Entwicklung rechtspopulistischer, rechtsextremistischer und auch extremistischer islamistischer Tendenzen berücksichtigen muss. Da beides einander bedingen kann und eine einseitige Ausrichtung auf eine Form des Extremismus eher zur Stigmatisierung beiträgt, gilt es, bereits laufende Aktivitäten und Präventionsangebote systematischer aufzubauen, zu verbinden und in einer ganzheitlichen Strategie zu verankern. Eine gute Basis dafür, die auch Doppelstrukturen vermeidet, ist die Verankerung in der kommunalen Kriminalprävention.
Das Ganze ist eingebettet in der kommunalen Grundhaltung, ein friedliches demokratisches und tolerantes Miteinander gestalten zu wollen.
Die Kommune hat also hier im Rahmen des Netzwerkes der Kriminalprävention und im kommunalen Bildungs- und Integrationsmanagement die Aufgabe, eine koordinierte Vernetzung und wirkungsorientierte Steuerung wahrzunehmen. Neben dem Einsatz und der systemübergreifenden Steuerung von Ressourcen gehört dazu auch die Entwicklung einer gemeinsamen Haltung bzw. eines gemeinsamen Verständnisses von „politischer Bildung und demokratischer Grundhaltung“ (ähnlich dem des Wolfsburger Bildungsverständnisses), das möglichst alle relevanten Akteurinnen und Akteure in der Kommune teilen.
Um zu funktionieren, benötigen Netzwerke ein gemeinsames Ziel und einen „Benefit-Effekt“, also einen Nutzen. Das gemeinsam entwickelte Verständnis kann ein Motor sein für die Entwicklung und Ausrichtung der an den Netzwerken beteiligten Akteurinnen und Akteure. Auf dieser Basis wird eine nachhaltige Steuerung der Netzwerke erleichtert. Dieses gemeinsam entwickelte Verständnis sollte dem Rat als Beschlussvorlage vorgelegt werden. Der politische Diskurs der Mandatsträgerinnen und -träger in den Fachausschüssen Jugend, Schule, Bildungshausausschuss, Sozialausschuss, Integrationsausschuss, Bürgerdiensteausschuss und Rat ist eine gute Voraussetzung für einen breiten Konsens. Zudem sind die Mandatsträgerinnen und -träger an lokalen Initiativen (Demokratie leben, Veranstaltungen, Vorträgen, Debatten etc.) zu beteiligen. Unerlässlich sind darüber hinaus eine Netzwerkstelle (Dialogstelle), die Anbindung an die kommunale Vorstandsebene und die Unterstützung des Bürgermeisters. Auf dieser Grundlage ist die Strategie der Kommune weiterzuentwickeln.
Experten
Qualifizierung
Um fachspezifisches Wissen und Sensibilisierung zum Thema „Extremismusprävention“ in die Fläche zu bringen, hat die Dialogstelle für Fachleute unterschiedlicher Disziplinen 2018 eine „atmende“ Qualifizierungsmatrix initiiert und an den Start gebracht. Ihre Aufgabe ist es, vor Ort adäquate Präventionsangebote zu initiieren und mit Partnern durchzuführen, erster Ansprechpartner bei Auffälligkeiten zu sein und die Informationen entsprechend eines abgestimmten Kommunikationskonzeptes/Fallmonitorings an die Dialogstelle Extremismusprävention weiterzuleiten. Hierzu wurde ein Konzept für einen Expertendialog für Fachkräfte im Kontext Extremismusprävention, der „Wolfsburger Präventionsweg“, entwickelt: die Bildung von kommunalen Expertinnen- und Expertennetzwerken durch fachspezifische Qualifikation. Im Laufe der Jahre sollen mehrere dieser Netzwerke entstehen und von der Dialogstelle Extremismusprävention koordiniert werden. Die intensive Qualifikation wird sich neben der Wissensvermittlung über das Phänomen der Radikalisierung und die eigenen Haltungen zu Themen wie Islam, interkulturelle Unterschiede, Gewalt- und Opferperspektive auch an den Informationsbedürfnissen der jeweiligen Teilnehmenden orientieren und mit jedem neuen Durchlauf seine Inhalte teilweise verändern und weiter entwickeln. Hier korrespondiert der Ansatz mit dem Qualifikationsansatz für Multiplikatoren und Multiplikatorinnen. Ziel ist für jedes System vor Ort, mit einem dauerhaften Netzwerk arbeiten zu können.
Ausgangssituation und Grundgedanken der Konzeption „Expertendialog“:
- Befähigung von Fachkräften innerhalb der Verwaltung und Fachkräfte weiterer Wolfsburger Institutionen zu adäquatem Umgang mit Extremismus und Radikalisierung
- Entwicklung einer einheitlichen, gemeinsamen Präventionsstrategie innerhalb Wolfsburgs
- Stufenmodell inkl. Pilotphase mit ausgewählten Einrichtungen
- Einbeziehung der Erfahrungen aus den unterschiedlichen Arbeitsbereichen (interdisziplinäre Teilnehmerauswahl)
- Vernetzung der Mitarbeitenden im Verlauf der Module/Netzwerkbildung
- Erarbeitung klarer Routinen für Mitarbeitende in Form der Handlungsstrategie „Wolfsburger Präventionsweg“
Zielsetzungen:
- Einheitliches Präventionsverständnis entwickeln
- Interdisziplinäre Zusammenarbeit befördern, in den Dialog treten und die unterschiedlichen Arbeits- und Sichtweisen kennenlernen
- Die Inhalte der Module orientieren sich an den Aufgaben- und Fragestellungen der Teilnehmenden
- Eine gemeinsame Haltung entwickeln zu Themen wie „Werte-Kanon“, unser kommunaler Auftrag, die gleiche „fachliche Sprache“ sprechen
- Erarbeitung von praxistauglichen Handlungsstrategien
- Aufbau eines kommunalen Präventionsnetzwerkes
Themenkanon für die Module:
- Wertebenennung und Entwicklung von Haltungen im komplexen Themenfeld „Unser Werte-Kanon“
- Unser „kommunaler Auftrag“ im Spannungsfeld Akkulturation und Interkultureller Öffnung
- Phänomenologische Betrachtung der Thematik Demokratie, Islam, Islamismus und Islamfeindlichkeit
- Psychodynamische und soziale Aspekte von Radikalisierung
- Wie erleben wir sich radikalisierende (junge) Menschen und Systeme? Kennen wir deren Biografen und Hintergründe?
- Ansätze einer konstruktiven Präventionsarbeit und „De-Radikalisierung“ bei religiös motivierter Radikalisierung/Extremismus
- Soziale Medien und Radikalisierung. Was ist uns bekannt, was nehmen wir wahr?
Der Terminus „Expertendialog“ ist hier bewusst gewählt worden, da wir davon ausgehen, dass durch vielfältige Informationsveranstaltungen die unterschiedlichen Professionen einerseits schon sensibilisiert wurden, andererseits durch deren berufsbiografische Hintergründe in vielfacher Weise Expertenwissen aus den jeweiligen Feldern mit eingebracht werden kann. Neben der intensiven Weiterbildung wird hier ein institutionenübergreifender Austausch gefördert. Dieser Expertendialog soll den Auftakt bilden und zu einer dauerhaften Reihe werden.
Gleichzeitig soll an den lebensweltlichen Bezügen von Kindern, Jugendlichen und Familien angeknüpft werden. Es ist uns wichtig, dass Prävention hier interdisziplinär verstanden wird und man sich auf einen gemeinsamen Präventionsbegriff, gemeinsame Präventionsziele, pädagogische und fachliche Standards verständigt. Dies muss dann in einen entsprechenden Leitfaden münden. Sowohl die Schul- als auch die Kitalandschaft verfügen bereits über jahrelang erprobte Runden (Konferenzen der Schul- und Kitaleitungen), die schon intensiv zu den unterschiedlichsten Themen übergreifende Konzepte und Positionen erarbeitet haben. Dies muss jetzt genutzt werden, um hier Prävention nachhaltig in den Schulprogrammen und Kitakonzepten zu verankern. Das Monitoring und die Steuerung sollen dabei durch die Dialogstelle erfolgen.
Besonders im Blick
Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Kindertagesstätten zwischen Vielfalt und Partizipation
Jüngste Evaluationen in allen Kindertagesstätten (durchgeführt durch das Institut Educert, Prof. Tietze, Berlin, seit 07/2019 PädQUIS) kamen zu dem Ergebnis, dass sowohl Konzepte/Ansätze zu sozialem und interkulturellem Lernen als auch Partizipationskonzepte in Ansätzen vorhanden sind, sie allerdings noch Entwicklungspotenzial haben. Im Rahmen der Qualitätsentwicklung der Kindertagesstätten wird dies in den nächsten Jahren einen breiten Raum einnehmen. Da der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit Zuwanderungsgeschichte in Wolfsburg inzwischen 50 % beträgt, besteht hier Handlungsbedarf. Vielfalt und Partizipation wird ein Ziel sein, das mit den Trägern der Wolfsburger Kindertagesstätten vereinbart wird. Unterstützt wird die Umsetzung durch das Qualifizierungsprogramm des Bildungshauses für Kindertageseinrichtungen und Familienzentren, das sowohl Fortbildungen für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren als auch Qualifizierungsbausteine für ganze Teams anbietet. Die Stadt Wolfsburg hat im Rahmen des vom Rat der Stadt Wolfsburg verabschiedeten Integrationskonzeptes einen Trainerpool zur Weiterentwicklung der interkulturellen Verwaltung aufgestellt. Dieser steht nun auch den Institutionen zur Verfügung. Einige Einrichtungen haben bereits Konzepte entwickelt, die sie umsetzen, sodass voneinander gelernt werden kann.
Darüber hinaus trägt die Stadt Wolfsburg das Siegel der kinderfreundlichen Kommune. Damit sind bestimmte Handlungsfelder zu bearbeiten, wie beispielsweise die Einfügung von Partizipationsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen in den Einrichtungen, Institutionen, politischen Gremien und der Stadtverwaltung. Ein Netzwerk aus ausgebildeten Partizipationsbegleiterinnen und -begleitern kann die Einrichtungen unterstützen. In den frühen Hilfen, den Kindertagesstätten und Familienzentren spiegeln sich als erstes gesellschaftliche Veränderungen in den Familien wider. Zunehmend stellen wir fest, dass es Kinder gibt, die von neosalafistischen Erziehungsstrukturen geprägt sind. Kinder weigern sich, neben anderen Kindern zu sitzen, bestimmte Angebote wahrzunehmen oder äußern bestimmte Einstellungen. Gleichzeitig gibt es Herausforderungen in der Zusammenarbeit mit Eltern, die entgegen der Konzepte von Vielfalt und Heterogenität auf Abgrenzung und Vorurteilen bestehen. Damit kommt es zu Diskussionen über Hausregeln, und Erzieherinnen und Erzieher benötigen zunehmend Beratung und Unterstützung, wie sie mit diesen Situationen umgehen können. Im Spannungsfeld zwischen den Elternrechten und dem Kindeswohl sind hier Qualifizierungsmaßnahmen und eine enge Abstimmung in den Netzwerken mit der Jugendhilfe und der Dialogstelle notwendig. In den Konzeptionen der Kindertageseinrichtungen sollten Haltung, Werte, offene Kommunikation, also die Kita als ein Ort der Vielfalt, enthalten sein.
Interkulturelle Einrichtung zu sein bedeutet aber auch, Eltern mit und ohne Zuwanderungsgeschichte in ihrer Elternkompetenz zu stärken, einen kompetenzorientierten Blick einzunehmen und die jeweiligen kulturellen und sprachlichen Fähigkeiten als Gewinn zu betrachten. Gemeinsam mit dem Team und unter Beteiligung der Eltern erarbeitet und im Rahmen von wiederkehrenden Studientagen und Elternveranstaltungen thematisiert, kann das eine gute Ausgangsbasis für ein Miteinander und den Umgang in der Einrichtung sein.
Die Dialogstelle bemüht sich, die Mitarbeitenden in Kindertagesstätten und Familienzentren nicht mit diesem gesamtgesellschaftlichen Problem allein zu lassen. Durch das Angebot von Schulungen und die Information über hilfreiche Netzwerke sollen Hemmschwellen abgebaut werden, diese auch in Anspruch zu nehmen. Gleichzeitig sollen die Schulungen und Qualifizierungen auch dazu dienen, Sicherheit im Aufbau von Beziehungsstrukturen zu den Kindern und auch den Eltern zu vermitteln, um nicht durch voreilige Fehleinschätzungen, durch eigene Vorurteile und Einstellungen Entwicklungen bei jungen Menschen eher zu verschärfen. Die Herausforderung ist die Gesamtheit der Problematik von Radikalisierung, die in einer kindzentrierten und -gerechten Umgebung eigentlich keinen Platz hat und die pädagogischen Fachkräfte vor Fragestellungen stellt, auf die sie auch in der Ausbildung nicht vorbereitet werden. Daher müssen in den Lehrplänen Trainingsmodule zur interkulturellen und politischen Bildung und auch zum Thema Radikalisierungsprävention enthalten sein. Das Kultusministerium und die Landesschulbehörde sollten diese Themen in die Lehrpläne der Fachschulen, Fachoberschulen und Universitäten mit aufnehmen.
Die Anforderungen an die Kindertageseinrichtungen in der Erziehungspartnerschaft mit den Eltern sind vielfältig. Durch die Pluralisierung und Individualisierung der unterschiedlichen Familienformen, durch die kulturelle Diversität und sprachliche Vielfalt, durch die ungleichen Teilhabe- und Bildungschancen wachsen die Aufgaben und Erwartungen. Bildung und Integration beginnen in der Kindertageseinrichtung. Die Chancen und Möglichkeiten sollten genutzt und nicht vom jeweiligen Haushalt einer Kommune abhängig sein. Bund, Land und Kommune sollten sich die Lasten einer guten Primärprävention teilen.
Sozialpädagogen und -pädagoginnen im Allgemeinen Sozialen Dienst – Zwischen Elternrecht und Kindeswohlgefährdung
Das Wolfsburger Jugendamt wird immer häufiger von Richtern und Richterinnen, aber auch von den Sicherheitsbehörden damit konfrontiert, dass Kinder von Rückkehrerinnen grundsätzlich einer Kindeswohlgefährdung ausgesetzt sind und daher eine Herausnahme erfolgen sollte. Wir diskutieren derzeit die Frage „Wann ist das Kindeswohl gefährdet? Genügt es, wenn ein Kind in einer Familie mit extremistischen Einstellungen der Eltern aufwächst? Ist eine Ausreise in ein IS-Gebiet Kindeswohlgefährdung?“
Die Herausnahme von Kindern aus der Herkunftsfamilie ist ein gravierender Eingriff und muss wohl überlegt und begründet sein. Reicht hier die Einstellung der Eltern, oder sind nicht auch andere Faktoren, wie beispielsweise die Traumatisierung der Kinder nach einem Aufenthalt in Syrien, die Beobachtungen und pädagogischen Beurteilungen der Kindertagesstätte, was den Entwicklungsstand der Kinder und deren Verhalten in der Kita angeht, die Beobachtungen und Einschätzungen der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Allgemeinen Sozialen Dienstes im Kontakt mit der Mutter, mit einzubeziehen?
Zu beurteilen ist auch, ob den Kindern im Rahmen ihres Aufwachsens die Teilhabe an Bildung, Gesundheit und Kultur ermöglicht wird. Darüber hinaus fragen wir uns, wie verhalten wir uns bei Familien anderer extremistischer Tendenzen? Gibt es akzeptierte oder nicht akzeptierte gefährdende Verhaltensweisen? Was ist beispielsweise mit Familien, die sich Sekten angeschlossen haben oder dem rechten oder extrem linken Milieu zuzuordnen sind? Welche Institutionen der Jugendhilfe können mit diesen Kindern/ Familien sinnvoll und kindgerecht arbeiten? Bedarf es nicht auch entsprechender Pflegefamilien oder Jugendhilfeeinrichtungen, die im Falle einer Herausnahme adäquat mit den Kindern auch im Sinne einer gelingenden Identitätsentwicklung umgehen können?
Gemeinsam mit Bayern leitet das Land Niedersachsen derzeit eine Arbeitsgruppe ein, die sich damit beschäftigt, was Jugendämter in solchen Fällen tun können. Wichtig aus unserer Sicht ist allerdings auch, dass die Arbeitsgemeinschaft der Jugendämter, der Deutsche Verein und andere Experten der Jugendhilfe, aber auch die Fachgremien des Niedersächsischen und Deutschen Städtetages sich intensiv und ausgewogen mit den Fragestellungen auseinandersetzen. Aber auch der Austausch mit den Sicherheitsbehörden ist relevant, um das Wohl des Kindes in den Mittelpunkt zu stellen, und nicht eine prospektive, prophylaktische Sicherheitspolitik. Auch die Anforderungen an die interkulturellen Kompetenzen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und damit auch ihr Repertoire an Strategien im Umgang mit unterschiedlichen Erziehungsstilen und Familienkonstellationen verändern sich. Wünschenswert wäre ein Team, welches multilingual und -kulturell aufgestellt ist.
Zielgruppen
Mädchen, Frauen und Mütter
Zu Beginn der Arbeit der Dialogstelle standen ausnahmslos junge Männer im Fokus der Radikalisierungsprävention. Inzwischen stellen wir auch in Wolfsburg fest, dass sich die Einschätzung der Sicherheitsbehörden, die Frauen zunehmend aktiv in der salafistischen Szene sehen, bestätigt. Während sie zunächst auffielen „als Freundin von“, wurden später dann Ausreisen von Frauen ohne und mit Kindern bekannt. Inzwischen stehen Rückkehrerinnen im Fokus und Frauen spielen nach unserer Wahrnehmung eine immer größere Rolle in der Entwicklung von Netzwerken. Diese Entwicklung wird auch im Austausch mit den Netzwerkpartnern bestätigt.
Bisher haben wir uns bei den Zielgruppen im Rahmen der sekundären und tertiären Radikalisierungsprävention auf Multiplikatoren konzentriert oder auf „Betroffene“. Es erscheint uns notwendig bei der Entwicklung und dem Angebot von Präventionsmaßnahmen, auch Familien und hier vor allem die Mütter in den Blick zu nehmen.
Hilfsangebote an das familiäre Umfeld der radikalisierten Person
Eine Zielgruppe, die in den letzten Monaten in den Blick genommen worden ist, sind die Mütter der von Radikalisierung betroffenen jungen Menschen. Für sie ist es nach wie vor schwierig, sich Unterstützung zu suchen. Häufig wird ihnen in den Familien die Verantwortung für die Radikalisierung ihrer Kinder angelastet. Zudem wird ihnen nicht zuletzt von den eigenen Ehemännern Versagen oder „falsche“ Erziehung vorgeworfen. Scham und Unsicherheit verhindern oft die Annahme von Hilfe und Unterstützung. Durch eine Mitarbeiterin der Dialogstelle Extremismusprävention, die eine eigene Migrationsgeschichte hat und tunesisch, französisch und arabisch spricht, konnte Vertrauen aufgebaut werden. Inzwischen wenden sich die Mütter mit ihren Fragestellungen, Ängsten und Erziehungsproblemen an diese Mitarbeiterin. Dieses Netzwerk gilt es, in der Zukunft auszubauen und professionelle Beratungs- und Unterstützungsangebote zu erarbeiten.
Interessant scheint hier das Projekt von „Frauen ohne Grenzen“ zu sein. Seit 2012 wird es in unterschiedlichen Ländern von Nigeria bis Pakistan und neuerdings auch in Österreich und Belgien durchgeführt. Mütter sollen qualifiziert werden, erste Anzeichen von Radikalisierung zu erkennen und vor allem dazu befähigt, entsprechend zu reagieren. Das bisherige Modell der Stadtteilmütter in Wolfsburg sollte hier um ein weiteres Angebot ergänzt und nach dem Vorbild „Frauen ohne Grenzen“ weiterentwickelt werden. Im Zentrum beider Angebote stehen der Aufbau von Beziehungen und die Entwicklung von Selbstvertrauen. Das Angebot kann über Kitas und Schulen für alle „besorgten“ Mütter beworben werden und sollte unabhängig von Nationalität, Religion und Herkunft sein. Mütter können dabei unterstützt werden, aktiv den Dialog mit ihren Söhnen und Töchtern zu führen und ggf. frühzeitig Hilfe und Unterstützung zu suchen, um gegenzusteuern. Sie lernen die Hilfsangebote und vor allem die Gesichter dahinter kennen, sodass sie persönliche Beziehungen aufbauen können.
Denkbar wäre auch, über das Wolfsburger Väterbüro ein entsprechendes Pendant für Väter anzubieten. Beide Gruppen wären in der weiteren Entwicklung Partner als Multiplikatoren für andere Mütter und Väter. Aus den Erfahrungen mit betroffenen Müttern erleben wir, dass die Radikalisierung oder Ausreise der Kinder als Stigma erlebt und deshalb oft mit Schweigen und Schuldzuweisungen in der Familie reagiert wird. Diese Mütter erleben wir häufig als überfordert, sie nehmen aber keine Hilfe und Unterstützung und schon gar keine psychologische Beratung an. Durch Multiplikatoren und den persönlichen Beziehungsaufbau könnten Ängste genommen und über die Schweigepflicht der Berater informiert werden.
Für die Zielgruppe der Mädchen und jungen Frauen fehlt uns derzeit die Breite an Angeboten. Der Aufbau des Jugendtreffs im Islamischen Kulturzentrum ist noch in der Initialphase, aber sicher künftig ein interessanter Anlaufpunkt, der von den Eltern akzeptiert wird. Er wird von jungen Frauen und Männern aus der Gemeinde geleitet, die ihre Jugendgruppenleiterausbildung beim Stadtjugendring gemacht haben. Darüber hinaus fördert die Kommune die „Rote Zora“, ein Mädchen-Café und Ort für junge Frauen, der Jungen und jungen Männern keinen Zutritt bietet. In den Flüchtlingsunterkünften hat die Rote Zora aufsuchende pädagogische Angebote gemacht, mit dem Ziel, „Freiräume für Mädchen und junge Frauen anzubieten“. Zugänge für die Pädagoginnen zu den Moscheen und Communities gibt es bisher nicht. Hier sind künftig sicher Kooperationen denkbar, um die Zielgruppe erreichen zu können. Auch sollte die offene Kinder- und Jugendarbeit die Ausweitung spezifischer Mädchenarbeit in Mädchenräumen intensivieren.
Väter
Väter, deren Söhne nach Syrien ausgereist sind, haben über unterschiedliche Wege versucht, ihre Söhne von der Ausreise abzuhalten. Sie haben sie eingesperrt, ihnen die Pässe weggenommen, versucht, die Stadt zu motivieren, die Pässe einzuziehen, haben mit den Sicherheitsbehörden kooperiert oder sind in die Türkei geflogen, um ihre Söhne zurückzuholen. Sie kontaktierten den Bürgermeister oder mich als Stadträtin, aber sie suchten nicht den Weg in eine Beratungsstelle.
Mit der Einrichtung des interkulturellen Väterbüros ist es zwar gelungen, sehr niedrigschwellig Väter mit Migrationshintergrund zu erreichen, aber die betroffenen Väter haben das nicht als Hilfsangebot angesehen. Durch die Arbeit mit den Vätern im Väterbüro gelingt es, gegenseitig vorhandene Bilder von Stereotypen und Vorurteilen abzubauen und sich miteinander über die Herausforderungen in der Erziehungsarbeit auszutauschen. Ehrlicherweise muss man sagen, dass Familienbildungsträger und Wohlfahrtsverbände erst in den letzten Jahren versucht haben, Angebote zu entwickeln, die dazu angetan sind, diese Zielgruppe auch zu erreichen. Wir gehen davon aus, dass Väter grundsätzliches Interesse an einer positiven erfolgreichen Entwicklung und Bildung ihrer Kinder haben und auch daran teilhaben können. Ihre Erziehungsaufgabe steht im Spannungsfeld zwischen zwei kulturellen Hintergründen, die sie erlebt haben, bzw. die ihre Kinder erleben. Die Frage, die wir uns stellen, ist, ob es nicht notwendig wäre, ein spezielles Forum für Väter mit Zuwanderungsgeschichte einzurichten, um sich zu informieren, sich auszutauschen, sich untereinander zu beraten und sich unter anderem auch mit den Entwicklungsphasen der Radikalisierung im Jugendalter zu beschäftigen. Die Erziehungs- und Unterstützungskompetenz der Kinder kann so durch den Aufbau vertrauensvoller Beziehungen gestärkt werden. Orte hierfür können das Väterbüro, Familienbildungsstätten, Kindertagesstätten und Familienzentren sein.
Jugendliche/junge Erwachsene
Präventionsangebote an Schulen
Schulen sind im Fokus bei der Entwicklung von Angeboten zur Radikalisierungsprävention. Sowohl im Bund als auch im Land werden Förderprogramme verabschiedet, die an unterschiedlichste Anbieterinnen und Anbieter gehen, die ihrerseits an die Schulen herantreten. Wünschenswert wäre es, wenn die Kommunen, die bereits in diesem Feld tätig sind, sowohl im Entwicklungsstadium als auch bei der Implementierung von Programmen mit einbezogen würden. Sie sollten in die lokale Präventionsstrategie integrierbar sein. Außerdem ist es effektiver, schon bestehende Strukturen, wie Schulsozialarbeit, als Teil multiprofessioneller Teams zu stärken und sie als Anbieter von außen in die bestehenden Netzwerke der Schule zu integrieren. Hier werden Mittel häufig eher verbrannt, als wirkungsorientiert verankert. Für eine Verankerung in der Schule ist es ohnehin unumgänglich, dass der Leiter, die Leiterin der Schule dahintersteht und sich dieses Themas als Führungsaufgabe annimmt. Dazu gehören die Verankerung der Radikalisierungsprävention, die politische Bildung und die Demokratieerziehung in das Leitbild der Schule, um auch die Chance auf nachhaltige Implementierung sowohl in der Bildung und Erziehung der Schülerinnen und Schüler, als auch in der Qualifizierung von Lehrerinnen und Lehrern zu haben. Ansonsten ist es abhängig von dem einzelnen Engagement eines Lehrers oder einer Lehrerin und steht neben der Profilierung als MINT-Schule oder als Europaschule in der ersten Reihe.
Wichtig wäre es sicher auch, mit der Kommune und der Landesschulbehörde im Rahmen der staatlich-kommunalen Verantwortungsgemeinschaft die Schullandschaft zu analysieren und Maßnahmen nicht mit der sprichwörtlichen Gießkanne zu verteilen. Die Analyse sollte auch klären, wo es ergänzender primärpräventiver Angebote bedarf, die sich prinzipiell mit den Phänomenen von Radikalisierung, Manipulierung in der Medienlandschaft, Partizipation und Demokratie auseinandersetzen, und wo es entscheidend ist, sich intensiv mit besonderen Zielgruppen auseinanderzusetzen.
Ein wesentliches Thema wird die Verankerung des interreligiösen Dialogs an Schulen im Rahmen eines veränderten „Werte und Normen Unterrichts“ sein. Darüber hinaus ist auf Initiative der Stadt Wolfsburg gemeinsam mit dem Kultusministerium und der Landesschulbehörde im Sommer 2018/2019 die Verankerung des schulischen Angebotes „Arabisch-Unterricht“ in Grundschulen gestartet. Eltern wird hier ein Alternativangebot zum Arabisch-Unterricht in der Moschee geboten. Eine Weiterführung in den Sek I Schulen ist beabsichtigt.
Medienkompetenz und Online-Prävention
Im Rahmen des Themas Digitalisierung gerät immer intensiver das Thema Medienkompetenz in den Mittelpunkt. Auch wenn es noch kein Schulfach ist, gibt es in der Kooperation des kommunalen Medienzentrums, der Jugendförderung, der Bibliotheken und Lernzentren mit den Schulen vielfältige fächerübergreifende Vermittlungen von Medienkompetenzen für junge Menschen. Der Fokus liegt dabei nicht nur im Bereich von Recherchekompetenz oder „Fußabdrücken“ im Internet durch die Nutzung der Social Media, sondern zunehmend im Feld der Förderung der Medienkompetenz im Umgang mit Inhalten im Internet. Fake News, Meinungsmanipulation u. v. m. spielen hier eine Rolle. Was allerdings aus unserer Sicht noch völlig unterschätzt und unterrepräsentiert ist im Bewusstsein von Sozialarbeitern und Sozialarbeiterinnen (auch in den Jugendzentren und Angeboten der Offenen Jugendarbeit), von Lehrerinnen und Lehrern, aber auch im Portfolio der Dialogstelle, ist die Online-Prävention. Hier fehlt es vielfach an eigenen Kompetenzen, aber auch Ressourcen. Die Fachleute wissen zwar, dass Radikalisierung auch und vielfach durch das Internet erfolgt, haben aber selber wenig Einblick. Auch wenn wir hier nicht in jeder Institution dazu Experten vorhalten können, ist es wichtig, in die Radikalisierungsprävention Methoden und Angebote aufzunehmen, die jungen Menschen auch Medienkompetenzen vermitteln im Umgang mit religiösen und/oder extremistischen Inhalten. Hier sind Kommune und Land im Rahmen der staatlichkommunalen Verantwortungsgemeinschaft gleichermaßen gefordert. Einerseits müssen Inhalte im Lehrplan des Bereichs der Kompetenzvermittlung verortet werden und anderseits sind Kooperationen zwischen Schule und Jugendhilfe zu schließen, um sich entsprechender jeweiliger Kompetenzen ergänzen und unterstützen zu können. Das ist kein Projekt und kein zeitlich beschränktes Angebot, sondern eine elementare Bildungs- und Präventionsaufgabe.
Pädagogische Arbeit mit männlichen Jugendlichen in der offenen Jugendarbeit
Aus der Täter-Arbeit wird deutlich, dass Jungen, insbesondere in der Pubertät, auf der Suche nach männlichen Vorbildern sind. Es ist eine Suche nach Orientierung und Identität. Wir sehen sehr deutlich, dass es Angebote geben muss, die einerseits themenorientiert sind, andererseits individuell personenbezogen und vertrauensbildend sind. Nur dadurch scheint ein echter transparenter Zugang zu gelingen und die Arbeit an der Veränderung von Werten und Einstellungen möglich zu sein.
Unbegleitete minderjährige Geflüchtete
Wolfsburg hat in den letzten drei Jahren ca. 120 unbegleitete Minderjährige betreut. Der überwiegende Anteil der jungen Menschen ist männlich. Circa 50 % der jungen Menschen kommen aus Afghanistan. Sie haben sich auf der Flucht unterschiedlichen Gruppen angeschlossen, haben unterwegs gejobbt, um Geld zu verdienen, haben auf der Flucht Kriegs- oder Missbrauchserfahrungen erlebt. Gleichzeitig haben sie sich eine Reihe von Kompetenzen angeeignet, um ihr Überleben zu organisieren. In den Jugendhilfeeinrichtungen angekommen, war es daher wichtig, Sicherheit zu erfahren und Bildungsangebote zu erhalten. Das hat viele zu Beginn ungeheuer motiviert. Inzwischen erleben sie, dass das Erlernen der Bildungssprache dauert, der Weg in den Beruf über eine Ausbildung führt und hadern oftmals mit den Zeitabläufen. Die Ablehnung von Asylanträgen führte zweimal zu dramatischen Szenen, bis hin zu einem Suizidversuch. Von Beginn an haben wir versucht, Beziehungsangebote zu machen, die Stabilität in das Leben der jungen Menschen bringen. Neben den Jugendhilfeeinrichtungen war und ist das „Step by Step“-Angebot eine wichtige Anlaufstelle für sie. Gleichzeitig sind einige von ihnen empfänglich für „religiöse“ Angebote, insbesondere von Menschen, die ihre Muttersprache sprechen. So wurden sie mehrfach von sogenannten Wanderpredigern angesprochen, die die jungen Menschen nach Hannover einladen wollten. Durch die enge Vernetzung der Kooperationspartner konnte durch das Islamische Zentrum auf die Prediger eingewirkt werden, dass sie Minderjährige nicht ohne Einbeziehung der Jugendhilfeeinrichtungen ansprechen und einladen dürfen. Eine Herausforderung ist die Überleitung in die Selbstständigkeit über das Angebot des betreuten Wohnens bis hin zur eigenen Wohnung. Aus unserer Sicht ist es fachlich notwendig, perspektivisch für alle UMAS (unbegleitete minderjährige Ausländerinnen und Ausländer) ein Übergangsmanagement vom betreuten Wohnen in die Selbstständigkeit zu entwickeln. Das Jobcenter sowie andere Institutionen des Kommunikationsmodells sind zu involvieren und in das bestehende Kommunikationsmodell einzubinden. Sinnvoll ist ein Konzept der „wohlwollenden Nachsorge“ für junge, volljährige Zugewanderte.
Junge zugewanderte Erwachsene
In Wolfsburg ist es gelungen, die Geflüchteten relativ schnell dezentral in Stadtteilen unterzubringen. In diesen Stadtteilen bildeten sich überall Ehrenamtsnetzwerke, die Patenschaften übernahmen, Aktivitäten organisierten, bei Behördengängen begleiteten, Schwimmkurse und Fahrradwerkstätten ins Leben riefen u.v.m. Der Weg über die Integrations- und Sprachkurse bis zur Integration in Arbeit ist aufgrund des Angebotes, aber auch des unterschiedlichen Bildungsniveaus in der Regel lang. Vielfach verbringen gerade die jungen Männer ihre Tage mit Nichtstun, wenn sie nicht in irgendeiner Maßnahme sind. Die unklare Perspektive, die wirtschaftliche Situation, die Trennung von den Familien, die Kriegs- und Gewalterfahrungen zermürben, je länger diese Zeit andauert, zumal einige dieser Männer bis heute noch kein Asylverfahren hatten. Sie kommen auf Dauer mit ihrem eigenen Bild vom Mann-Sein, ihrer Männlichkeit, ihrer Rolle zunehmend in Konflikt. Diese Voraussetzungen können den Nährboden für Depressionen, Sucht, Gewalt, Kriminalität und Radikalisierung bieten.
Neben Sprach- und Bildungsangeboten, Praktika, Hospitationen, Integrationsangeboten von Sportvereinen, Ehrenamtsorganisationen etc. fehlt es unserer Erfahrung nach an einem Treffpunkt für diese jungen Menschen zwischen 20 und 35 Jahren. Es müsste ein Ort sein, an dem Beratung genauso angeboten wird wie Freizeitgestaltung, Veranstaltungen stattfinden, Aufklärung über gesellschaftliche „musts“ und „don’ts“ und Begegnungen mit Deutschen möglich sind, um die Sprache zu trainieren und eigene Fähigkeiten mit einbringen zu können. Gleichzeitig ist ihnen auch die Frage zu stellen, was ihr Anteil an einer gelungen Integration ist und was sie bereit sind, dafür zu tun, um mit ihnen daran zu arbeiten.
Netzwerkarbeit
Zusammenarbeit mit den Communities und Moscheen
Durch die Arbeit der Dialogstelle und anderer Akteurinnen und Akteure in der Kommune ist die Tür in den letzten Jahren geöffnet worden. Trotzdem ist es neben dem Projekt „Demokratie Leben“ noch ein längerer Weg zur Zusammenarbeit auf der Basis einer gemeinsamen Grundlage. Für die Zusammenarbeit mit den Moscheen wäre es erleichternd, wenn die Imame die deutsche Sprache beherrschen würden. Gerade für sinnvolle Kooperationen im Rahmen der Bildungsarbeit ist fehlende Sprachkompetenz ein Hindernis. Die gemeinsame Arbeit im künftigen o.g. zivilgesellschaftlichen Netzwerk bietet weitere Chancen.
Zusammenarbeit mit der Landesschulbehörde im Rahmen der staatlich-kommunalen Verantwortungsgemeinschaft
Die Stadt Wolfsburg blickt im Rahmen des kommunalen Bildungsmanagements auf eine fast zehnjährige Zusammenarbeit mit der Landesschulbehörde in Form der staatlich-kommunalen Verantwortungsgemeinschaft in unterschiedlichen Feldern zurück. Gemeinsam sind auf der Basis des Bildungsberichtes Ziele vereinbart worden, an denen gemeinsam gearbeitet wird. Neben den kommunalen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Bildungsbüros unterstützen abgeordnete Lehrkräfte den vereinbarten Kontrakt. Da die zuständige Dezernentin für die Grund-, Haupt-, Real- und Förderschulen gleichzeitig die Beauftragte der Landesschulbehörde für Radikalisierungsprävention ist, im Beirat von KIP NI (Kompetenzstelle Islamismusprävention Niedersachsen) sitzt und an unserem Wolfsburger Netzwerk beteiligt ist, haben wir hier ideale Ausgangsvoraussetzungen, auf der Basis gemeinsam vereinbarter Ziele eine Weiterentwicklung der Präventionsangebote in diesem Feld zu gestalten.
Vernetzung mit den Sicherheitsbehörden im Netzwerk/Sicherheitsüberprüfung
Die Zusammenarbeit von Pädagogik und Sicherheit im Bereich sekundärer und tertiärer Radikalisierungsprävention ist transparent zu definieren. Wir haben in Wolfsburg langjährige Erfahrungen im Rahmen von Streetlife in der Zusammenarbeit von Ordnungsamt, Jugendamt und Polizei gesammelt. Diese von uns und unseren Partnern als äußerst erfolgreich resümierte und evaluierte Zusammenarbeit führt häufig insbesondere in den Jugendpflegen anderer Gebietskörperschaften zu Kritik und Unverständnis. Hier wurde und wird zum Teil die These vertreten, Sozialpädagogen und Sozialarbeiter arbeiteten parteilich und akzeptierend und daher sei gerade gegenüber den Sicherheitsbehörden eine kritische Haltung einzunehmen. Sozialarbeit stehe für Beziehungsarbeit und vertrauensbildende, Polizei für repressive und kontrollierende Maßnahmen. In der zehnjährigen Zusammenarbeit im kommunalen Sicherheitsmanagement konnten wir deutlich andere Erfahrungen machen. Polizei, Ordnungsamt und Jugendhilfe konnten durch die gemeinsame aufsuchende Arbeit im öffentlichen Raum, in Schulen und Jugendzentren präventiv aufklären und so Konflikte und Straftaten verhindern. Durch gemeinsame Qualifikationen in der Gewaltberatung konnten Jugendhilfe und Polizei anders auf Tätergruppen zugehen und nachhaltig Reintegration nach Straftaten erreichen.
Diese Erfahrungen haben wir bereits in eine Kooperationsvereinbarung zwischen Polizei, VfL Wolfsburg, Ordnungsamt und Jugendamt gegossen, in der die Zusammenarbeit mit Blick auf die Fanszene verabredet wurde. Diese Formen der Kooperation müssen insbesondere auf die Zusammenarbeit in allen Bereichen der Radikalisierungsprävention übertragen werden. Es gibt bereits gute Ansätze im Rahmen des derzeit in der Erarbeitung befindlichen Kommunikationsmodells und der Fallkonferenzen, die jetzt schon zwischen der Jugendhilfe, der Dialogstelle, der Polizei, dem Staatsschutz, Verfassungsschutz und KIP NI laufen. Dennoch existieren bis jetzt Entwicklungsherausforderungen, insbesondere bei Fragen des Austausches von Informationen aufgrund der unterschiedlichen gesetzlichen Rahmenbedingungen. Das gilt nicht nur für den Austausch von Informationen zwischen der Jugendhilfe und den Sicherheitsbehörden, sondern auch für den Austausch der Sicherheitsbehörden untereinander.
Festzuhalten ist jedoch, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendhilfe oder der Dialogstelle nicht im Sinne einer einseitigen Kommunikation Informationsgeber für Staatsschutz und Verfassungsschutz sind. Noch dazu, wenn es keinerlei Rückmeldungen gibt, die es ermöglichen, eigenes pädagogisch abgestimmtes zielorientiertes Handeln sinnvoll einordnen zu können. Vielmehr sind im Sinne gemeinsam verantworteter Radikalisierungsprävention das Konstrukt der Fallkonferenzen mit gemeinsam abgestimmten Präventionsmaßnahmen und Vorgehensweisen weiterzuentwickeln und Arbeitsformen zu konzipieren, die in gemeinsamen praktischen Projekten münden. Die geplanten gemeinsamen Qualifizierungsmodule geben hier gute Möglichkeiten, Anknüpfungspunkte zu finden. Ein Thema der Sicherheitsbehörden ist in diesem Zusammenhang die sogenannte Sicherheitsüberprüfung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Dialogstelle. Wenn diese erfolgt sei, dann wäre ein anderer Informationsaustausch möglich. Dazu ist noch eine fachliche Positionierung seitens der Kommune erforderlich.
Nachhaltigkeit/Evaluation
Zu unterscheiden ist zwischen den universellen primären und den spezifischen und sekundären sowie tertiären Präventionsangeboten. Zielgruppen, insbesondere für den Bereich der sekundären und tertiären Präventionsangebote, sind in der Zukunft deutlicher zu beschreiben, die Ziele eindeutiger zu definieren und Evaluation von Beginn an mitzudenken, um vor allem wirksame Maßnahmen zu entwickeln. Für die Evaluation einzelner Maßnahmen und Projekte, die im Rahmen des Beccaria-Programms des Landespräventionsrates Niedersachsen durchgeführt werden, verfügt die Stadt Wolfsburg über eine ausgebildete städtische Fachkraft für Kriminalprävention und zwei weitere Fachkräfte bei Kooperationspartnern. Die Beccaria-Standards können auch hier als Maßstab zur Überprüfung der Projektplanung und -durchführung dienen. Damit wäre eine Selbstevaluation und stärkere Qualitätsorientierung von Projekten der Radikalisierungsprävention auch ohne externe Begleitung möglich.
Auch die Frage der Nachhaltigkeit bei der Einführung von Programmen ist von Beginn an mitzudenken. Alle Programme, die langfristig angelegt und vor allem strukturell verankert werden, haben nach unseren Erfahrungen eine größere Chance, nachhaltig zu wirken. Daher ist es insbesondere in der Verantwortung der Kommune, Förderprogramme dahingehend zu prüfen:
- inwieweit Finanzierungen befristet sind,
- ob sie nur funktionieren bei zusätzlichen Ressourcen, die nach Projektende wegbrechen,
- oder ob sie auf Qualifizierung, Multiplikatoren, dauerhafte Netzwerke, Veränderung und Anpassung von Strukturen ausgerichtet sind.
Wünschenswert wäre jedoch eine Kooperation mit der Forschung zur Evaluation der Strategie und einzelner Maßnahmen und Projekte mit Blick auf die Wirksamkeit.
Dabei sollten folgende Fragestellungen die Evaluation leiten:
- Entsprechen die Struktur und die Maßnahmen den tatsächlichen Herausforderungen?
- Bewegen wir uns in Wolfsburg auf der Basis von Forschungsergebnissen und Praxiserfahrungen aus anderen Kommunen, ggf. auch aus anderen europäischen Ländern?
- Entsprechen die Qualifikationen der Dialogstelle den Heraus- und Anforderungen und lassen sich dadurch Qualitätsstandards übertragen?
- Gelingt es, das Feld der Radikalisierungsprävention mit anderen Strategien der Stadt Wolfsburg bspw. in der Integration, in der Bildung etc. zu verknüpfen?
- Gelingt es, die Zielgruppen der verschiedenen Präventionsmaßnahmen in die Konzeption und Weiterentwicklung mit einzubeziehen? Welchen Einfluss hat das auf die Wirksamkeit der Maßnahmen?
- Sind die Maßnahmen effektiv und vor allem wirksam? Sind die Strukturen nachhaltig?
- Sind ausreichend Kommunikationsmaßnahmen implementiert, um die Zielgruppen, Beteiligten und Stakeholder zu erreichen?
Ein ständiger Austausch zwischen Kommunen, Land, Bund und Wissenschaft ist ebenfalls für die Entwicklung von nachhaltigen Ansätzen erforderlich. Auch der Austausch mit anderen europäischen Ländern sollte gefördert werden, da diese zum Teil über längere Erfahrungen verfügen. Wir können von den Niederlanden, Großbritannien oder Norwegen lernen, die in den letzten Jahren sehr interessante Programme – insbesondere im Bereich von Mentoring und Beziehungsarbeit mit gefährdeten Zielgruppen – entwickelt haben. Das Land Niedersachsen hat verschiedene Veranstaltungen mit diesem Ansatz des Austausches in Brüssel begonnen, die sehr hilfreich, interessant und wichtig waren (Radikalisierung – RATlos? – Prävention in der Kommune 2015) und zwischen den Verantwortlichen der Kommunen und den Praktikern fortgeführt werden sollten.
Nachhaltigkeit in der Dialogstelle
Die Umsetzung einer Präventionsstrategie braucht Zeit. Die Erwartungen an die Dialogstelle sind inzwischen von Seiten der Netzwerkpartner, der Klienten, der Communities und nicht zuletzt auch von Seiten der öffentlichen Medien groß. Erforderlich ist eine regelmäßige Überprüfung des Zusammenwirkens zwischen Aufgaben, Anforderungen und Ressourcenausstattung der Dialogstelle. Ähnlich der Beratungsstelle auf Landesebene ist festzustellen, dass der Bedarf und die Komplexität der Beratungsanfragen durch Einzelpersonen, Angehörige und pädagogischen Fachkräfte steigen.
Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
Kommunikation ist ein ganz zentraler Aspekt für die Umsetzung einer lokalen Präventionsstrategie.
Sie dient der transparenten Information in Richtung des Netzwerkes und der beteiligten Partner. Es gibt regelmäßige Treffen, Protokolle und schriftliche Vereinbarungen sowie einen Austausch über den Stand der Maßnahmen und Projekte.
Viel herausfordernder und komplizierter ist und war in der Vergangenheit jedoch die externe Kommunikation. Einerseits ist und war es notwendig, die Öffentlichkeit regelmäßig und offensiv über den Stand der Präventionsprogramme zu informieren, auch wenn die permanente Nachfrage nach sichtbaren Erfolgen nicht beantwortet werden kann und konnte. Wir vermeiden grundsätzlich Berichte oder Interviews von Mitarbeitenden zu Präventionsmaßnahmen, die einzelne oder spezifische Gruppen betreffen, da dies die vertrauensvolle pädagogische Arbeit der Dialogstelle gefährdet. In den Interviews, die in der Vergangenheit gegeben wurden, stand die Kommunikation über die allgemeine Strategie im Vordergrund. Nicht immer kann man damit Pressevertreter zufriedenstellen. Auch bestimmte Begrifflichkeiten, Zuschreibungen, Orte und Polarisierungen versuchen wir in der Kommunikation zu vermeiden und eher die Bedeutung des sozialen Zusammenhaltes und die demokratische Bildung in den Vordergrund zu stellen. Da die Anfragen in der Vergangenheit immer im Zusammenhang mit aktuellen Ereignissen, Verhaftungen, Gerichtsprozessen oder Rückkehrern gestellt wurden, gehört es zu den künftigen Herausforderungen, ein Kommunikationskonzept zu entwickeln, das unabhängig davon die Öffentlichkeit über das Engagement der Kommune informiert.