Bundeskriminalamt (BKA)

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Trotz Heitmeyers früher Kategorisierung überließ man die Subkultur der Fußballfans lange Zeit sich selbst. Als sich das erste Fanprojekt 1981 in Bremen gründete, wurde es eher belächelt als ernst genommen. Statt präventive Ansätze zu fördern, setzten Politik, Vereine und Verbände auf Konfrontation und erhöhte Sicherheitsmaßnahmen. Kameraüberwachung, Stadionverbote, erhöhte Polizei- und Ordnerpräsenz verlagerten zwar die gewalttätigen Auseinandersetzungen auf sogenannte Drittorte, also Plätze fernab der öffentlichen Überwachung wie Wälder oder Felder, doch im Umfeld des Fußballstadions wachsende extremistische Einstellungen lassen sich nicht durch ein Verbot extremistischer Erkennungsmerkmale wie der 88 auf dem Rücken des Trikots bekämpfen.

Inzwischen haben alle relevanten Akteurinnen und Akteure das enorme Potenzial präventiver Fanarbeit erkannt, doch noch immer wird dieses nicht ansatzweise vollständig ausgeschöpft. Während die beschriebenen konfrontativen Ansätze trotz enormer damit verbundener Kosten6) schon vor langer Zeit flächendeckend realisiert wurden, sind präventive Projekte bestenfalls partiell implementiert.7)

Das ist umso erstaunlicher, wenn man das vorhandene Arsenal im Kampf gegen das Phänomen Rechtsextremismus im Fußballstadion genauer betrachtet. Während konfrontative Ansätze vor allem auf die Handlungsebene zielen, gehen präventive Maßnahmen tiefer und bekämpfen Entstehung sowie Festigung von rassistischen, sexistischen, antisemitischen und anderen dem Phänomen Rechtsextremismus zuzurechnenden Überzeugungen auf der Einstellungsebene.8) Ein erfolgreicher Kampf gegen letztere führt dazu, dass sich extremistische Handlungen im Umfeld des Fußballs gar nicht erst manifestieren. Wer im Stadion beispielsweise den Hitlergruß zeigt, wird mithilfe von Kameras identifiziert und in der Regel mit einem Stadionverbot bestraft. Vor den Toren des Stadions interagiert diese Person jedoch weiterhin mit Fans, unter anderem mit anderen Fans mit Stadionverbot. Im ungünstigsten Fall radikalisiert sie sich in deren Umfeld (weiter) oder fördert die Radikalisierung anderer Fans, die eventuell aus ganz anderen Gründen (beispielsweise dem Zünden von Pyrotechnik) Stadionverbot bekommen haben. Es liegt also auf der Hand, dass durch den konfrontativen Ansatz das Problem bestenfalls verlagert, schlimmstenfalls verschlechtert, aber keinesfalls gelöst wird. Wesentlich nachhaltiger sind präventive Ansätze, da sie nicht nur konkrete Handlungen unterbinden, sondern die Wurzeln dieser Handlungen auf der Einstellungsebene bekämpfen.

Natürlich sind konfrontative Ansätze im Umfeld des Fußballs dennoch nötig und richtig. Extremistische Handlungen müssen konsequent bestraft werden. Doch es erstaunt, dass eine qualitativ-empirische Aufarbeitung aller vorhandenen Strategien gegen Extremismus im Stadion zeigt, dass konfrontative Maßnahmen von allen relevanten Akteurinnen und Akteuren im Kampf gegen Extremismus im Fußballstadion am schlechtesten bewertet wurden. Trotzdem werden genau diese Maßnahmen am flächendeckendsten umgesetzt. Präventive Maßnahmen wurden dagegen am besten bewertet und sind bis jetzt allenfalls teilweise implementiert.9)

Diese Diskrepanz verdeutlicht das größte Problem präventiver Arbeit mit Fußballfans: Sie dauert lange, erfordert einen recht hohen personellen sowie finanziellen Aufwand und die Erfolge sind (wenn überhaupt) nicht sofort sichtbar. Wenn Politik, Verbände oder Vereine schnelle Erfolge gegen Extremismus im Fußballstadion zeigen möchten, funktioniert das mit konfrontativen Maßnahmen besser: Verbietet ein Verein zum Beispiel das Tragen von Thor Steinar-Klamotten via Hausordnung, verschwinden diese Erkennungszeichen der rechtsextremen Szene sofort aus dem Stadion. Die Einstellungen der Szene tangiert das Verbot allerdings nicht.

Doch die meisten Vereine haben inzwischen erkannt, dass dem komplexen Problem des Extremismus mit Verboten alleine nicht beizukommen ist. Die präventive Arbeit von Fanprojekten und Fanbeauftragten wird heute nur noch selten in Frage gestellt, dafür aber immer häufiger gefördert. Am Beispiel von Borussia Dortmund kann man diese Entwicklung gut erkennen. Lange Jahre hat sich der Verein nicht wirklich damit beschäftigt, was auf den Rängen des größten Bundesligastadions passiert. Doch dann häuften sich die rechtsextremen Vorfälle: 2012 forderte ein Plakat auf der berühmten Südtribüne Solidarität mit der damals gerade verbotenen Kameradschaft Nationaler Widerstand Dortmund. 2013 wurden ein Mitarbeiter des Fanprojekts sowie ein Fanbeauftragter beim Auswärtsspiel in Donezk, begleitet von rechten Sprüchen, angegriffen. Dadurch rückte das lange gewachsene Problem verstärkt ins Blitzlicht.

Der Verein reagierte spät, aber umfassend. Mithilfe wissenschaftlicher Berater wurde ein Konzept zur Bekämpfung verschiedener Ausprägungen des Phänomens Rechtsextremismus innerhalb der Fanszene erarbeitet und Schritt für Schritt umgesetzt. Dessen Kernelement war und ist die Stärkung der Fanarbeit, bestehend aus den Säulen Prävention, Früherkennung und Intervention.10)

Als erfolgreich erweisen sich zum Beispiel Präventionsmaßnahmen wie Gedenkstättenfahrten mit aktiven Fans zu ehemaligen Konzentrationslagern, die vor- und nachbereitet werden. Workshops bringen zudem Fans und Vereinsmitarbeiter zusammen, um gemeinsam ganzheitliche Ansätze für antidiskriminierende Aktionen zu erarbeiten. Die Fanabteilung verknüpft geschickt PR-Aktionen mit Informationsangeboten, indem sie beispielsweise BVB-Bierdeckel unter dem Motto Kein Bier für Rassisten in der Stadt verteilt. Die Bierdeckel transportieren nicht nur eine klare Botschaft gegen Rechtsextremismus, sondern verweisen gleichzeitig auf eine Internetseite, die rechtsextreme Vorurteile entkräftet. Flankiert wird die Aktion vom WorkshopHömma, so läuft das nicht“, der Fanclubs und andere interessierte Personen über rechtsextreme Symbolik aufklärt und Handlungsoptionen bei Auseinandersetzungen aufzeigt. Interne Schulungen und Netzwerkarbeit runden die umfassende Strategie des Vereins ab.

Struktur und Informationen zum Kapitel / Modul

Fussnoten

Literatur

Quellen