Bundeskriminalamt (BKA)

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Ein weiteres Beispiel für die möglichen Dynamiken einer antagonistischen Kooperation im Kampf gegen den Terrorismus zeichnet sich im Zusammenhang mit dem typischerweise zu beobachtenden Personalaufwuchs der Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit terroristischen Bedrohungslagen: Angesichts derartiger Bedrohungen fällt es deutlich leichter, Ressourcen im Rahmen des Wettbewerbs um Haushaltsmittel zwischen den Ressorts einzuwerben. Und gleichzeitig steht der Aufwuchs der Sicherheitsbehörden in der allgemeinen Wahrnehmung für eine terroristische Bedrohung und adressiert damit den Angsthaushalt der Bevölkerung, womit unweigerlich wieder dem taktischen Kernanliegen – Angst und Schrecken verbreiten zu wollen – von Terrorgruppen in die Hände gespielt wird.

Dieses Grundmuster antagonistischer Kooperation lässt sich auch mit Blick auf die Wissenschaftsgemeinde beobachten. Es ist schon überraschend, wie viele Universitätseinrichtungen und Lehrstühle in den letzten Jahren Expertise im Bereich der Extremismus-/Terrorismusforschung aufgebaut haben. Gleiches gilt für deutlich intensivierte Aktivitäten im Bereich der Präventionspraxis – insbesondere durch ein breites Spektrum lokal, regional und z. T. auch national agierender zivilgesellschaftlicher Träger: Wir beobachten ein zunehmend intensiver beackertes Handlungsfeld zur Extremismusprävention (hierzu ausführlich Eine Bestandsaufnahme präventiver Angebote in Deutschland sowie ausgewählter Präventionsstrategien aus dem europäischen Ausland - Seite 1). Offensichtlich ist es angesichts der finanziell gut ausgestatteten Sicherheitsforschungsprogramme auf nationaler und internationaler (EU-)Ebene deutlich leichter, (Dritt-)Mittel für Forschungs- und Projektvorhaben einzuwerben. Sicherlich, die aktuellen Herausforderungen rufen nach einer Intensivierung in Forschung und Praxis. Aber es sollte auch immer kritisch mitgedacht werden, das unsere entsprechenden Bemühungen eben auch daran beteiligt sind, terroristische Bedrohungslagen gesamtgesellschaftlich zu inszenieren: Der bisweilen enorme Mitteleinsatz ist gegenüber der Bevölkerung über entsprechend begleitende Öffentlichkeitsarbeit zu rechtfertigen. Unvermeidlich erfahren so terroristische Bedrohungsszenarien im öffentlichen Diskurs einen Resonanzboden. Die vielfältigen Forschungs- und Projektinitiativen im Bereich der Präventionspraxis, die durch die Auftragnehmer und Auftraggeber öffentlichkeitswirksam aufbereitet werden, hallen in der Wahrnehmung der Bevölkerung wider: Es zeichnet sich ein Bild ubiquitärer Bedrohung ab. Eine Bedrohung, die offenbar weit präsenter im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankert scheint, als eine Vielzahl anderer, weit relevanterer und risikoträchtigerer sozialer Probleme und kriminogener Bedrohungen für den Einzelnen. Die Wahrscheinlichkeiten konkreter Lebensrisiken, wie beispielsweise Arbeitslosigkeit, Opfer einer Gewaltstraftat oder eines tödlichen Haushaltsunfalls zu werden, sind weit größer als das Risiko, Opfer eines Terroranschlags zu werden. In der aktuellen gesellschaftlichen Situation scheint aber eine objektive, distanziert-sachliche Bewertung und Risikoeinschätzung offenbar schwer zu fallen. Und so nimmt es nicht Wunder, dass in 2016 und 2017 der durch die R+V-Versicherungen seit nunmehr über einem Vierteljahrhundert repräsentativ gemessene Angstindex erstmalig die Angst vor Terrorismus auf Platz 1 der privaten und öffentlichen Ängste in der Bundesbevölkerung ausweist.9)

Diese gesellschaftliche Gemengelage von geradezu unvermeidlichen Situationen antagonistischer Kooperation zwischen den diversen terroristischen und gesellschaftlichen Gruppierungen und das damit assoziierte Risiko von Co-Terrorismus bergen konkrete Fallstricke in der Praxis von Extremismusprävention. Diese rufen eine ethische Reflexion unseres Handelns auf den Plan: Ist es zwingend notwendig, dem Terrorismus in all seinen Facetten – von der detaillierten Berichterstattung zum Anschlagsgeschehen über die diversen Entwicklungsfortschritte der Ermittlungen und justiziellen Verfolgung bis hin zur Entlassung der Täter aus dem Justizvollzug – eine mediale Bühne zu geben?10)

Und sicherlich ist es gut und richtig, staatliches Handeln transparent zu machen, aber: Tut es Not, jeden Schritt im Bemühen der repressiven und präventiven Eindämmung des Terrorismus öffentlich zu kommunizieren? Offenkundig ergeben sich zahlreiche Fragen zu einem ethisch verantwortlichen Handeln in diesem Feld. Bevor hierzu einige konkrete Überlegungen angestrengt werden, wollen wir zunächst die vier offensichtlichsten und in der Literatur immer mal wieder – zumindest indirekt – angesprochenen Fallstricke skizzieren, die in der Präventionspraxis entsprechend der Co-Terrorismus-These lauern:

Fallstricke in der Extremismusprävention

Erstens – Die Kombattantenfalle

Es ist stets zu prüfen, inwieweit die präventiven Maßnahmen in diesem Feld nicht auch gleichzeitig geeignet sind, eine gewisse Angstkulisse in der Allgemeinbevölkerung aufzubauen. Wenn dies – etwa durch unkritische, wenig reflektierte Berichterstattung bedingt – geschieht, machten sich die Maßnahmen beziehungsweise die sie begleitende Berichterstattung – wie bereits beschrieben – ungewollt zu einer Art Mitspieler des Terrorismus, indem der terroristische Schrecken kaleidoskopartig widergespiegelt und in der Wahrnehmung multipliziert wird. Möglicherweise ist es mitunter ebenso effektiv und weniger risikobehaftet, erst einmal nichts oder weniger zu tun und „heroische Gelassenheit“ walten zu lassen, wie es der Politologe Herfried Münler immer wieder anregt.11) Ein länger zurückliegendes Beispiel, welches den hier diskutierten Zusammenhang recht gut illustriert, war die Reaktion der Weltgemeinschaft auf den Anschlag durch die palästinensische Terrorgruppe „Schwarzer September“ auf die israelische Olympia-Mannschaft am 5. September 1972 in München: „The games must go on!" Diese Devise wurde bereits einen Tag nach dem Anschlag durch den damaligen IOC-Präsidenten Avery Brundage ausgerufen.

Struktur und Informationen zum Kapitel / Modul

Fussnoten

Literatur

Quellen

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