Bühne des Kapitels / Moduls
Gesamtgesellschaftliche Extremismusprävention - einleitende Randnotizen und unbequeme Fragen
Exkurse Gesamtgesellschaftliche Extremismusprävention
Inhalt des Kapitels / Moduls
So ist es nicht ohne Einfluss, wie über Terroranschläge und extremistische Erscheinungsformen, die letztlich alle direkt oder indirekt miteinander in einem Wechselwirkungsverhältnis stehen, in den Medien berichtet wird und wie diese am Stammtisch diskutiert werden. Es ist nicht ohne Einfluss, wie wir uns zu Hasskommentaren im Internet verhalten – und sei es nur, dass wir als vermeintlich unbeteiligte Beobachter den entsprechenden Internetbereichen bereits durch das Aufrufen der jeweiligen Internetseiten Aufmerksamkeit schenken. Es ist nicht ohne Einguss, dass wir uns in unseren Gemeinden und Städten nicht positionieren, wenn politische Amts- und Mandatsträger sowie deren Familien derart bedroht werden, dass sie sich zur Aufgabe genötigt sehen. Es ist nicht ohne Einguss, wenn wir auf extremistische Äußerungen von Mitmenschen in unseren diversen mikrosozialen Umfeldern, in die wir eingebunden sind, nicht reagieren – sei es in der Schulklasse, im Kolleginnen- und Kollegenkreis, in der Nachbarschaft oder der eigenen Familie.
Sicherlich können wir dem Anspruch auch nicht ansatzweise gerecht werden, die Landschaft einer Extremismusprävention zu vermessen, noch detailreich zu beschreiben, wie sie gesamtgesellschaftlich zu begreifen ist. Ganz konkret ist hier auch die Regelversorgung in den unterschiedlichen Lebensbereichen wie Ausbildung, beruflicher Alltag oder Freizeit angesprochen. Natürlich sind ein Vereinsangebot im Bereich Sport oder die diversen Bildungsangebote keine Extremismusprävention im eigentlichen Sinne. Gleichwohl leisten diese Angebote aber indirekt einen Beitrag im Rahmen einer gesamtgesellschaftlich verstandenen Extremismusprävention, indem das Funktionieren gesellschaftlicher Regelstrukturen konfliktregulierend wirkt und damit Risiken in Richtung eines gewaltträchtigen gesellschaftlichen Radikalisierungsgeschehens moderiert.
Nichtsdestotrotz sollten diese Angebote aus vielerlei Gründen heraus nicht als explizite Extremismuspräventionsangebote verstanden noch so „inszeniert“ bzw. in der Außenwahrnehmung dargestellt werden. Und zwar ganz wesentlich aufgrund von Risikoerwägungen gemäß des sog. Etikettierungsansatzes:1) Denn natürlich sind Mitglieder im Sportverein oder Teilnehmer eines Bildungsangebots oder einer Jugendfreizeitmaßnahme keine Extremisten und es sollte auch nicht der Anschein erweckt werden, als seien diese Personen einem besonderen Risiko ausgesetzt, dem Extremismus anheim zu fallen. Würden die Regelversorgungsangebote als Extremismuspräventionsangebote inszeniert bzw. dargestellt, schaffte dies einer sozialkonstruktivistischen Betrachtung2) folgend ggf. erst das Problem bzw. eine Wirklichkeit, die es zu verhindern gilt. Unstreitig ist aber – wie gesagt – auch, dass eine Unterversorgung in diesen für das gesellschaftliche Miteinander und den gesellschaftlichen Frieden bedeutsamen Bereichen das Risiko gesellschaftlicher Probleme bzw. Konflikte erhöht.
Dies kann im weiteren Prozess bestimmte Gruppen anfälliger für extremistische Deutungsangebote machen, weil sich ihre Zukunftserwartungen und konkreten Aussichten eintrüben – ein Zustand, der gemäß neuerer sozialpsychologischer Forschung radikalisierungsträchtig ist.3) Und so bleibt im Umkehrschluss festzuhalten: Eine gute Regelversorgung leistet einen Beitrag für ein gelingendes gesellschaftliches Miteinander und macht die Gesellschaft resilienter gegenüber extremistisch-terroristischen Deutungsangeboten und vor allem gegenüber entsprechenden Handlungsoptionen.
Gleichwohl hoffen wir, dass die in diesem Kapitel gesammelten Beiträge und unsere einleitenden Notizen und Fragen zumindest einen näheren Eindruck von den Konturen und Ausmaßen einer notwendigerweise gesamtgesellschaftlich zu begreifenden und gestaltenden Extremismusprävention vermitteln. Denn wie in Kapitel 3.1 gezeigt, sind Radikalisierung im Allgemeinen und Extremismus sowie Terrorismus im Besonderen Ausdruck gesellschaftlicher Konflikte, die in der Regel auf alle Gesellschaftsbereiche ausstrahlen.
Bei terroristischen und extremistischen Gewalttaten steht nicht – wie gewöhnlich im alltäglichen Gewaltgeschehen – eine individuelle „Täter-Opfer-Beziehung“ im Vordergrund. Die Täterinnen und Täter bzw. die Taten stehen für eine extremistische Bewegung mit entsprechenden und in der Regel auf gesellschaftliche Systemveränderungen ausgerichtete Zielstellungen. In der Berichterstattung zu extremistisch-terroristischen Gewaltakten dominiert eine individualisierte Berichterstattung. Der Täterin oder dem Täter wird eine hohe, auf ihren bzw. seinen Lebenslauf gerichtete Aufmerksamkeit geschenkt, so, als ließe sich der Terrorakt ganz wesentlich aus dem Lebenslauf der Täterin oder des Täters erklären. Sicherlich, die lebenslaufbezogenen Umstände sind nicht unwesentlich, was insbesondere für die strafprozessuale Aufarbeitung der Tat bedeutsam ist.
Zu bedenken ist aber zweierlei: Zum einen droht das konkrete Risiko, Nachahmer zu motivieren. Indem wir der Täterin oder dem Täter unsere volle Aufmerksamkeit schenken, schüren wir unweigerlich das Risiko, ihr oder ihm zu einem Märtyrer-, zu einem Heldenstatus in den entsprechenden extremistisch-terroristischen Referenzmilieus bzw. Sympathisantenumfeldern zu verhelfen. Unser medialer Umgang mit den Täterinnen und Tätern modelliert sozusagen tatmotivierende Anschauungsmodelle. Zum anderen führt der täterfixierte Umgang mit extremistisch-terroristischen Herausforderungen dazu, die gesellschaftlichen Hintergründe, die den Terrorakten zugrunde liegenden gesellschaftlichen Konflikte auszublenden.