Bundeskriminalamt (BKA)

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Inhalt des Kapitels / Moduls

Dem Handbuch Extremismusprävention geht es darum, umfassend das vorhandene grundlegende Wissen zu einem hochkomplexen und politisierten gesellschaftlichen Handlungsfeld zusammenzutragen. Gleichzeitig soll dafür sensibilisiert und motiviert werden, vermeintliche Gewissheiten in Theorie und Praxis immer wieder kritisch zu reflektieren: Extremismus, Radikalisierung und Terrorismus sind sehr fluide, wandelbare soziale Phänomene. Sie stellen sich zu unterschiedlicher Zeit an unterschiedlichen Orten und in unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen häufig sehr verschieden dar – selten hat sich dies so deutlich gezeigt wie in jüngster Zeit, wenn wir die Entwicklungen vom Anschlag auf dem Breitscheidplatz im Dezember 2016 bis zum Anschlag in Hanau im Februar 2020 Revue passieren lassen. Wenngleich offenbar die basalen sozio-psychologischen Weichenstellungen in Richtung der unterschiedlichen ideologisch begründeten Extremismen keine große Veränderungen über Raum und Zeit aufzuweisen scheinen, so sind die jeweiligen individuellen sowie gesellschaftlich-kulturellen Ausgangsbedingungen eines etwaigen Radikalisierungsgeschehens höchst spezifisch. Auch dies wurde selten so offenkundig, wie es sich im terroristischen Geschehen der jüngsten Zeit sowohl national wie auch international offenbart. Dies ist bei der Konzeption und Umsetzung von Präventionsmaßnahmen zu berücksichtigen. So viel sei vorweggenommen: Eine One-size-fits-all-Strategie würde dem Phänomen, dem Präventionsanliegen in diesem vielschichtigen Arbeitsfeld nicht gerecht werden. Stets ist zu fragen, ob die aktuellen präventiven Zugänge (noch) angemessen und nützlich sind.

Soweit zunächst zu den „theoretischen“ Ausgangsbedingungen der Extremismusprävention. Im Hinblick auf die konkrete Präventionspraxis beobachten wir seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ein Ringen, ein Bemühen um präventive Zugänge, das in jüngerer Zeit merklich zunimmt. Es wurde nach praktischen Präventionsansätzen zu der Erscheinung eines scheinbar neuen Phänomens, dem religiös motivierten, islamistischen Extremismus/Terrorismus, gesucht. Diese für den „Westen“ neue Herausforderung drängte nicht nur auf sicherheitsbehördliche Antworten, wie mit diesen extremistisch-terroristischen Erscheinungen umzugehen ist, sondern ließ gleichzeitig einen großen Bedarf an einer flankierenden Präventionsarbeit sichtbar werden.

Anscheinend ist das Verhältnis zum Islam in den westlichen Gesellschaften nicht hinreichend geklärt bzw. nicht hinreichend zu einer einvernehmlichen, Toleranz und Pluralität bejahenden Normalität entwickelt. Die sich mehr und mehr abzeichnenden Integrationsdefizite wurden insbesondere mit den in 2015 stark angewachsenen Migrationsbewegungen in Richtung Europa offensichtlich. Sie äußern sich weiterhin in einem Erstarken rechtspopulistischer und -extremistischer Erscheinungen. Diese wiederum rufen bisweilen extreme, ebenfalls gewaltträchtige Reaktionen hervor. Und so befindet sich Deutschland in einer in seiner bisherigen Geschichte einmaligen Situation, die geprägt ist von einem virulenten, gewaltträchtigen Wechselwirkungsgeschehen zwischen weltanschaulichen und religiös motivierten Extremismen. Von daher sind die beobachtbaren zunehmenden präventiven Anstrengungen auf Bundes-, Landes- und vor allem auf kommunaler Ebene eine verständliche und begrüßenswerte Reaktion auf ein vielschichtiges, zunehmend extremismusaffines und terrorismusträchtiges Radikalisierungsgeschehen.

Dies gilt umso mehr unter dem Eindruck der Corona-Krise. Bei Start des unmittelbaren Produktionsprozesses, dem intensivierten Lektorat und dem Einstieg in die Korrekturschleifen zu diesem Handbuch war Corona in Europa noch kein Thema. Jetzt, wo diese Zeilen noch nachträglich in die schon lektorierte Einleitung eingefügt werden, hat das Corona-Virus das kollektive Bewusstsein vollumfänglich besetzt. Und wenn diese Zeilen in gedruckter Form erstmalig gelesen werden, sind weltweit mehrere hunderttausend Tote zu beklagen. Wir können jetzt bereits verlässlich festhalten, dass unsere Gesellschaft nach der Bewältigung der COVID-19-Pandemie eine andere sein wird – gleichwohl noch vollkommen offen ist, in welche Richtung sich das gesellschaftliche Miteinander im Hinblick auf das hier gegenständliche Themenfeld entwickeln wird. Einerseits beobachten wir in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen vielfältige Formen solidarischer Hilfe. Diese besitzen anscheinend und hoffentlich das Potenzial, die noch bis vor kurzem in Gestalt von grausamen Terrorakten in Halle und Hanau registrierten gesellschaftlichen Fliehkräfte in Richtung einer zunehmenden Polarisierung und Entsolidarisierung zu moderieren. Andererseits ist jetzt schon absehbar, dass die Corona-Krise mit vielen kleineren und größeren gesellschaftlichen Konfliktlagen einhergehen wird, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Radikalisierung bestimmter gesellschaftlicher Gruppierungen beitragen werden. So beobachten wir gleichfalls im Zusammenhang mit dem COVID-19-Virus intensiv aufkeimende Verschwörungstheorien – Begleiterscheinungen eines möglichen Radikalisierungsgeschehens in Richtung extremistischer Weltsichten. Die sich aktuell zunehmend über das Internet ‚viral‘ verbreitenden Verschwörungstheorien werden von den unterschiedlichen, politisch und religiös motivierten extremistischen Milieus und Gruppierungen befeuert und instrumentalisiert. Inwieweit ein derartiges Radikalisierungsgeschehen droht, in extremistische Gewalt, in Extremismus umzuschlagen, ist noch nicht verlässlich einzuschätzen – dies wird unter anderem durch ein in 2020 startendes ‚Radikalisierungsmonitoring‘ beobachtet, welches von einem mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung geförderten Spitzenforschungscluster (ergänzend gefördert durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat) umgesetzt wird.* Trotz der skizzierten Offenheit der Situation und trotz – oder gerade wegen – der gegenwärtig hohen Ungewissheit die Zukunft betreffend sind die jüngeren zunehmenden präventiven Anstrengungen auf Bundes-, Landes- und vor allem auf kommunaler Ebene eine verständliche und begrüßenswerte Reaktion auf ein vielschichtiges extremismusaffines Radikalisierungsgeschehen, dessen Ursachen tiefer liegen, als die gegenwärtig unser aller Aufmerksamkeit okkupierende Corona-Krise.

Was jedoch fehlt, ist eine Zusammenschau der Präventionspraxis, ein Überblick über das, was wir wissen und was sich mit Blick auf die differenten Erscheinungen von Extremismus als praktikabel, als präventiv wirksam erweist. Ebenso mangelt es an einem lebendigen, offenen und (auch: selbst-) kritischen Austausch zu unseren Erfahrungen, die wir in der Praxis machen. Mitunter scheint es, als bestünde ein Handlungsdruck, Merkmale oder Ausgestaltungen von Extremismus neu zu entdecken, anstatt sich über bereits bekannte und erfolgreiche Ansätze auszutauschen und darauf aufzubauen. Dies geschieht insbesondere auch, weil es angesichts der Breite des bereits vorhandenen Wissens und der Vielfalt unterschiedlichster Präventionsangebote schwerfällt, den Überblick zu behalten. Hierzu will das Handbuch Extremismusprävention einen Beitrag leisten. Es zielt darauf ab, zu den unterschiedlichen Erscheinungen von Radikalisierung und Extremismus sowie zu den einzelnen präventiven Arbeitsfeldern Orientierung zu stiften. Dabei hat das Handbuch vor allem die Praktiker in den verschiedenen gesellschaftlichen Handlungsfeldern vor Augen, die mit den Herausforderungen von Radikalisierung und Extremismus konfrontiert sind: Seien es Eltern sich radikalisierender Heranwachsender, seien es Therapeutinnen und Therapeuten in Ausstiegshilfemaßnahmen, seien es Bürgermeisterinnen und Bürgermeister von Kommunen, in denen extremistische Gruppierungen aktiv werden, seien es Studierende, die sich für dieses herausfordernde Praxisfeld qualifizieren wollen, oder Sozialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, die in dieses spannende Forschungsfeld eintauchen möchten. Aus diesem breiten Anspruch heraus wurden der besondere Aufbau des Handbuchs und bestimmte Gestaltungsmerkmale abgeleitet.

Zum Aufbau

Das Handbuch gliedert sich in insgesamt sieben Hauptkapitel, die in sich geschlossen sind, gleichwohl inhaltlich aufeinander aufbauen und dennoch je nach Interessenlage einen Quereinstieg ermöglichen. Letzteres ist ebenso gezielt über ein Schlagwortregister möglich. Die sieben Hauptkapitel sind wiederum zwei inhaltlich zu differenzierenden Buchteilen zugeordnet und werden in einem dritten, ergänzenden Teil von einer Sammlung zusätzlicher relevanter Beiträge erweitert. Teil 1 befasst sich in den Kapiteln 1 bis 4 mit den wissenschaftlichen Grundlagen der Extremismusprävention und behandelt die Themenschwerpunkte „Theoretische Bezüge“, „Phänomenologie“, „Radikalisierungsprozesse“ und „Evaluation“. Teil 2 besteht aus den Kapiteln 5 bis 7 und legt den Fokus auf die Praxis der Extremismusprävention in Deutschland. Dieser Buchteil geht auf die hier praktizierten Ansätze, vorhandene Präventionsprogramme sowie die aktuelle Präventionslandschaft ein. Ergänzt werden die Kapitel 1 bis 7, die sozusagen den Kernbereich der Extremismusprävention abbilden, durch einen dritten Buchteil, bestehend aus Exkursen zu komplementären Fragestellungen und Gesellschaftsbereichen, die sich in ihrer Alltagspraxis nicht explizit als Mitspieler im Feld der Extremismusprävention verstehen, gleichwohl aber Einfluss auf das Radikalisierungsgeschehen und die diversen politischen und/ oder religiös motivierten Extremismen nehmen. Für die dort behandelten Inhalte stehen Schlagworte wie: Sprachmissbrauch, Konflikttransformation, Medien, Strafrecht, mobile Beratung, politische Bildung, Fußballszenen, Islamverbände, Opferberatung, Ethik.

Da das Handbuch Extremismusprävention ein breites Spektrum unterschiedlicher Arbeitsfelder, Phänomene und damit befasster wissenschaftlicher Disziplinen berührt, die sich durch unterschiedliche Sprach- und Begriffswelten auszeichnen, ist darauf geachtet worden, eine sprachliche Darstellung zu wählen, die dem „Laien“ einen Einstieg ermöglicht und gleichzeitig den jeweiligen Wissensstand angemessen, komprimiert und hinreichend differenziert wiedergibt. Wenn unumgänglich und für den jeweiligen Themenkreis bedeutsam, sind Begriffe und Konzepte in den Kapiteln – z.T. in Themenboxen vom Haupttext abgesetzt – definiert und näher eingeführt. Die Kapitel werden jeweils durch eine „zusammenfassende“ Einführung eingeleitet, in der die wesentlichen Fragestellungen des jeweiligen Beitrages pointiert herausgestellt werden.

Teil 1: Grundlagen der Extremismusprävention

Kapitel 1 (Kemmesies) führt in die Thematik des Handbuchs näher ein. In einem ersten Schritt erfolgt eine Annäherung an die zentralen Begriffe, die sozusagen den Handlungsgegenstand des Handbuchs beschreiben. Im engeren Sinne geht es um die Prävention von Extremismus und von politisch motivierten Straftaten. Im erweiterten Zielspektrum steht die Prävention von Entwicklungen, die dazu führen können, dass ein typisches Geschehen in demokratisch verfassten Gesellschaften – der Streit um politische Lösungen zu gesellschaftlichen Herausforderungen – in demokratiefeindliche Handlungen und in politisch bzw. in im weitesten Sinne ideologisch motivierte Gewalt münden.

Die Begriffe, um die sich die im Handbuch beschriebene Handlungspraxis rankt, sind nicht nur in der Wissenschaft, sondern vor allem auch in der politischen, zivilgesellschaftlichen und kulturellen Handlungspraxis stark umstritten: Was heißt Extremismus, Radikalisierung oder Terrorismus? Der Streit um die „richtigen“ Definitionen dieser Begriffe soll in diesem Werk nicht dupliziert, sondern pragmatisch kanalisiert werden. Die eingeführten Definitionen sind Resultat eines intensiven Diskussionsprozesses unter den Autoreninnen und Autoren. Nicht in allen Nuancen bzw. Teilaspekten stoßen diese Definitionen bei allen am Projekt beteiligten Personen zu einhundert Prozent auf Zustimmung. Gleichwohl werden diese von allen Autorinnen und Autoren hinsichtlich der basalen Aspekte mitgetragen. Sie verstehen sich als Arbeitsdefinitionen bzw. gemeinsame Basis für das Handbuch. Sie fokussieren grundlegende inhaltliche Positionen und umfassen weitere Kriterien und Aspekte. Ja, mit Blick auf einzelne, höchst spezifische Handlungsfelder – sei es im Bereich der Zivilgesellschaft, Sicherheitsbehörden, Politik oder Medien – bedarf es notwendigerweise der Ergänzung der Definitionen, indem etwa ergänzende Randbedingungen aufgrund normativer Vorgaben durch die Strafgesetzgebung aufgenommen werden müssen, um z. B. bestimmen zu können, wann eine politisch oder religiös motivierte Straftat als „terroristisch“ eingestuft wird.

In einem zweiten Schritt wird in Kapitel 1 der dem Handbuch unterlegte theoretische Bezugsrahmen vorgestellt. Hierbei wird es nicht um theoriegeleitete Erklärungsversuche des „Großen und Ganzen“ von Radikalisierung, Extremismus und Terrorismus gehen. Ebenso wenig geht es um ein theoretisches Modell „kleiner“ Reichweite, aus dem konkrete Erklärungen von Teilaspekten bzw. -problemen in diesem Handlungsfeld ableitbar wären, die unmittelbar in praktische Handlungsansätze umsetzbar wären. Das vorzustellende Modell der „Kontextstruktur Radikalisierung“ (KoRa) stellt einen theoretischen Rahmen „mittlerer“ Reichweite dar: Es geht darum, die Multidimensionalität sowie multikausale Bedingtheit von Radikalisierung zunächst einmal „theoretisch“ fassbar und damit beschreibbar zu machen: Welche Einflussfaktoren, welche individuellen und institutionellen Akteure haben wir zu berücksichtigen, wenn wir uns mit diesen Phänomenen in der gesellschaftlichen Alltagspraxis konfrontiert sehen und diesen präventiv begegnen wollen. Soviel sei vorweggenommen: Radikalisierung, Extremismus und auch Terrorismus bezeichnen soziale Phänomene, die unweigerlich alle Gesellschaftsmitglieder direkt oder auch und in der Regel indirekt betreffen. Indem wir quasi alle betroffen sind – und sei es lediglich als Rezipienten der Medienberichterstattung oder als Steuerzahler und Bürger, die mehr oder weniger davon betroffen sind, dass die enormen Aufwendungen zur Terrorbekämpfung zu Lasten anderer Gesellschaftsbereiche gehen. Der theoretische Bezugsrahmen verdeutlicht die praktische Notwendigkeit, unsere präventiven Anstrengungen in diesem Feld gesamtgesellschaftlich anzulegen. Hiermit ist eine zentrale Botschaft, eine wesentliche Intention des Handbuchs angesprochen: Eine verstärkte, gesamtgesellschaftliche Verantwortungsbereitschaft zu stimulieren, die nicht von einer bisweilen diffusen Terrorangst und weniger vom Blick auf ein mögliches Wählervotum getragen ist, als von einem sachlichen, die Risiken von Extremismus und Terrorismus realistisch(er) kalkulierendem Diskurs.

Kapitel 2 widmet sich sodann konkret den differenten radikalen und vor allem extremistischen Phänomenbereichen, die heute in Deutschland relevant sind. Es informiert überblickartig zu den unterschiedlichen Erscheinungen eines politisch und/oder religiös motivierten Extremismus, indem es insbesondere für Gemeinsamkeiten und Unterschiede der mannigfaltigen radikalen Milieus sowie extremistischen Gruppierungen sensibilisiert. Es wird deutlich, dass es weder den Rechts- oder Linksextremismus gibt. Es handelt sich um Phänomene, die über Raum und Zeit sehr wandelbar sind. Wir beobachten zwischen Regionen und Städten z. T. sehr unterschiedliche Erscheinungsformen – in Qualität und Quantität – der differenten Extremismen. Und jeder Extremist hat sich höchst individuell entwickelt, wenngleich wir hinsichtlich der grundlegenden psycho-sozialen Weichenstellungen in Richtung einer „extremistischen“ Radikalisierung starke Gemeinsamkeiten zwischen den individuellen Wegen zu den diversen radikalen Milieus – welcher politischen oder religiösen Strömung auch immer – ausmachen können.
Die vier Beiträge des Kapitels 2 befassen sich mit den Phänomenfeldern des Rechtsextremismus (Backes und Nattke), Linksextremismus (Pfahl-Traughber, Baron, Deycke und Micus), Islamistisch begründeten Extremismus und Terrorismus (Hummel und Rieck) sowie der wichtigsten Erscheinungsformen von transnationalem Extremismus (Bayrak und Sandikci). Neben der deskriptiven Darstellung der jeweiligen aktuellen Phänomenentwicklungen und Erscheinungsformen stellen entsprechende Mobilisierungs- und Rekrutierungsstrategien einen weiteren Schwerpunkt der Beiträge dar. Ferner wird auch auf relevante Konfliktthemen eingegangen, die für die jeweiligen Bereiche von Bedeutung sind.

Ziel dieses Kapitels ist es, der Praxis eine erste Orientierung bei der Identifizierung und Bewertung extremistischer Erscheinungen zu ermöglichen, um präventive Handlungsoptionen planen zu können, die den jeweiligen Phänomenausprägungen angemessen scheinen.

Im einem ergänzenden Annex im Anschluss an Kapitel 2 (Glossar extremistischer Sinnformeln) geben Liebert et al. einen Einblick in die Welt des extremistischen Sprachgebrauchs.**

[STERNCHEN ALS FUßNOTE?]

Auf Grundlage der Analyse von Propagandamaterialien, Bekennerschreiben und terroristischen Manifesten unter Bezugnahme auf den kulturellen und politischen Kontext verdeutlichen die Autorinnen und Autoren anhand einer Auswahl szenetypischer Begriffe, wie sich die Wortwahl als extremistisch entlarvt. Eindrucksvoll werden Bedeutungsverschiebungen durch den extremistischen Sprachgebrauch offensichtlich. Dabei wird ersichtlich, dass die „Kaperung“ bzw. die semantische Besetzung von geläufigen Ausdrücken durch Extremisten wie ein leises Gift die Sprache verseucht. Ein Umstand, dessen wir uns gerade in der aktuellen Situation stärker denn je bewusst sein sollten.

In Kapitel 3 stehen die Bedingungs- und Einflussfaktoren von Radikalisierungsprozessen im Fokus. Hierbei werden drei Betrachtungsebenen differenziert, da wir entsprechend der Forschungslage auf unterschiedlichen Ebenen sozialer Kollektivität unterschiedlich wirksame Bündel von relevanten Einflussfaktoren differenzieren müssen. Zunächst widmet sich Eckert in Kapitel 3.1 dem Radikalisierungsgeschehen auf der Ebene gesellschaftlicher Kollektive: Was radikalisiert eine Gesellschaft bzw. gesellschaftliche Subgruppen, in denen die einzelnen Personen nicht durch direkte Beziehungen oder (in-)direkte Kennverhältnisse miteinander verbunden sind?

Daraufhin führt Zick in Kapitel 3.2 den Fokus enger, indem er Gruppen in das Zentrum der Betrachtung rückt. Dabei geht es sowohl um Kleingruppen – charakterisiert durch direkte soziale Beziehungen ihrer Mitglieder – als auch um Organisationen, die durch eine eigene Gruppenidentität (Abgrenzung gegen Outgroups) bzw. durch entsprechende Rollen, Normen und Werte charakterisiert sind und mithilfe von Netzwerken und Kommunikationsstrukturen entsprechende Beziehungen zwischen ihren Mitgliedern herstellen.

Ben Slama setzt im Kapitel 3.3 den Fokus auf die treibenden Faktoren von Radikalisierungsprozessen auf der Ebene der Person. Im Mittelpunkt stehen Personenmerkmale, die bei einer Radikalisierung von Relevanz scheinen, Motive, individuelle Radikalisierungspfade sowie push- und pull-Faktoren, die auf das Individuum sowohl beim Einstieg in den Extremismus/Terrorismus als auch beim Ausstieg einwirken. In diesem Beitrag werden auch Bedeutung und Grenzen gängiger Begriffsdefinitionen diskutiert, die sich bei ihrer Anwendung auf Radikalisierungsprozesse von Individuen offenbaren.

Rieger et al. befassen sich im Kapitel 3.4 mit der Bedeutung des Internets im Radikalisierungsgeschehen. Im Fokus steht die Bedeutung des technischen Fortschritts und des digitalen Wandels für das Radikalisierungsgeschehen auf den in den Beiträgen 3.1, 3.2 und 3.3 aufgezeigten Analyseebenen der Gesellschaft, Gruppe und des Individuums. Dabei offenbart sich, dass die technischen Entwicklungen des letzten Jahrzehnts eine fundamentale Veränderung bisher gekannter Strukturen nach sich ziehen, die sowohl Konsum als auch Verbreitung von Medien regulieren. Zum einen sind Informationen im Zeitalter des mobilen Internets überall und jederzeit verfügbar und für jeden leicht zugänglich, zum anderen zerfallen zunehmend Kontroll- und Steuerungsinstanzen (Gatekeeper), die früher über die Einhaltung ethischer, rechtlicher sowie qualitativer Standards wachten. Konsumenten können jederzeit und mit wenig Mühe in die Rolle des Medienproduzenten und des Medienverbreiters schlüpfen. Was auf den ersten Blick als grenzenlose Freiheit erscheint, kann sich bei genauerem Hinsehen als eine neue Form der Fremdbestimmung offenbaren, denn die schier unendliche Flut an verfügbaren Informationen wird im Hintergrund sortiert und gefiltert. Suchalgorithmen übernehmen für den Internetnutzer das Denken, engen den Blick für alternative Inhalte ein und führen unweigerlich in sog. Filterblasen. Terrorgruppen und Extremismus-Akteure machen sich die neuen Möglichkeiten zunutze, um ihre Propaganda zu verbreiten und Sympathisanten, Unterstützer und neue Mitglieder zu werben. Das Internet kann allerdings auch von Akteuren der Prävention eingesetzt werden, um positive Botschaften zu vermitteln und einen Beitrag zur Eindämmung von Hass, Desinformation und Extremismus zu leisten.

Die vier Beiträge von Kapitel 3 zeigen, dass individuelle und kollektive Radikalisierungsprozesse unterschiedliche Dynamiken und Kombinationen unterschiedlich wirksamer Einflussfaktoren aufweisen. Dies hat wesentliche Implikationen für die Gestaltung von Prävention: Was sich ggf. als ein gangbarer Ansatz innerhalb der Präventionsarbeit mit Kleingruppen erwiesen haben mag, ist möglicherweise mit Blick auf gesellschaftliche Großgruppen ungeeignet. Und was zu Beginn eines individuellen Radikalisierungsprozesses die Entwicklung in Richtung eines gewaltaffinen Extremismus erfolgreich präventiv zu unterbinden vermag, drohte bei Anwendung im fortgeschrittenen Radikalisierungsprozess unter Umständen gar kontraproduktiv zu wirken. Kurzum: Offensichtlich bieten sich keine präventiven Universalstrategien an, die über Zeit und unterschiedliche Zielgruppen hinweg Erfolg versprechen. Prävention hat die individuellen Besonderheiten von (radikalen) Milieus, Gruppen und Personen zu berücksichtigen und dabei die aktuellen gesellschaftlichen Kontextbedingungen zu beachten, denn Radikalisierung sowie extremistische Erscheinungen sind immer auch Ausdruck historisch einmaliger gesellschaftlicher Konflikte.

Im Kapitel 4 widmen sich Möller et al. einer ausgeprägten praxisrelevanten Forschungslücke und einem offensichtlichen Defizit im Prof der Extremismuspräventionspraxis. Es geht um die Evaluation der Extremismusprävention. Bei all dem beobachtbaren gesteigerten Engagement in den letzten Jahren in diesem Bereich haben wir es weiterhin mit einer defizitären Situation zu tun. Eine systematische, transparent und umfassend evaluierte Begleitung von Präventionsprojekten – von der Planungsphase bis hin zum Projektabschluss – ist nur ansatzweise und vereinzelt zu beobachten. Dies mag vielerlei Gründe haben, die irgendwo zwischen den Extrempolen mangelnder Ressourcen einerseits und mangelhafter Einsicht in die Notwendigkeit von Evaluation andererseits angesiedelt sind. Insofern geht es in Kapitel 4 nicht nur um die Darstellung der Möglichkeiten und konkreter Ansätze der Evaluation, sondern auch insbesondere darum, für ein Mehr an Evaluation in diesem sensiblen Arbeitsfeld zu werben. Denn es geht nicht nur darum, aus ökonomisch motivierten Effizienzerwägungen erfolgreiche von weniger erfolgreichen präventiven Zugängen zu differenzieren und den Blick auf gute, funktionierende Praxis zu schärfen. Vielmehr muss vor allem auch ausgeschlossen werden, dass präventive Zugänge beschritten werden, die nicht nur nicht wirken, sondern möglicherweise gar kontraproduktiv sind. Dies ist hier von besonderer Bedeutung, weil im Falle eines gewaltträchtigen Extremismus eben das Risiko von beträchtlicher Fremdschädigung gegeben ist. Das Handlungsfeld der Extremismusprävention unterliegt insofern einer besonderen moralisch-ethischen Verpflichtung. Dieser über eine kritische, transparente Reflexion der Handlungspraxis zu entsprechen ist wichtig (vgl. hierzu ausführlich auch Kemmesies und Kowalski in diesem Band, Exkurs 11 – Teil 3): Es ist sehr sorgfältig zu prüfen, was unter welchen jeweilig gegebenen Kontextbedingungen funktioniert. Aufgrund der hier angedeuteten Umstände ist insbesondere im Bereich der Extremismusprävention dem Imperativ zur Evaluation stärker Geltung zu verschaffen. Hierzu soll und will das Handbuch einen Beitrag leisten, wobei ausdrücklich auch für den Mut zur Dokumentation von Misserfolgen geworben werden soll.

Teil 2: Praxis der Extremismusprävention

Nach der zusammenfassenden Erörterung der wissenschaftlichen Grundlagen der Extremismusprävention in den Kapiteln 1 bis 4 folgt im Praxisteil des Handbuchs (Kapitel 5 bis 7) eine Darstellung der Extremismusprävention in Deutschland aus Sicht der Praktikerinnen und Praktiker, die in unterschiedlichen Rollen die Präventionslandschaft aktiv mitgestalten.

In einem einleitenden Beitrag rückt Ben Slama zuerst die Perspektive eines sicherheitsbehördlichen Präventionsbedarfes in den Vordergrund. Dieser war in den letzten zwei Dekaden sehr stark auf das Phänomen des islamistisch motivierten Extremismus/Terrorismus fokussiert. Ausgehend von der Vorstellung von einem spezifisch deutschen Präventionsansatz, die vor einigen Jahren unter dem Begriff des „German Approach“ Eingang in die internationale Fachliteratur fand, werden die Bemühungen staatlicher Akteure bei der Entwicklung von Präventionsprogrammen bis hin zu der heute praktizierten Präventionsarbeit skizziert. Im Rahmen dieser Einleitung werden darüber hinaus einige zentrale Schlussfolgerungen aus dem ersten Handbuchteil gezogen und hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Erfüllung eines Präventionsbedarfes reflektiert, der in erster Linie auf eine für Sicherheitsbehörden relevante Zielgruppe abzielt – geht es doch vor allem darum, strafbewehrte und insbesondere gewaltsame Handlungen zu prävenieren.

Kapitel 5 führt über drei Unterkapitel in die drei Arbeitsfelder der Präventionspraxis ein: Was sind die Zielgruppen und besonderen Herausforderungen der universellen (5.1), selektiven (5.2) und indizierten (5.3) Prävention? Die Verfasser der drei Beiträge orientieren sich hierbei an einer Systematik, die Präventionsangebote nach der jeweils angesprochenen Zielgruppe unterscheidet. Somit fußt dieses Kapitel auf einem breiteren Verständnis von „Extremismusprävention“, das weit über die für Sicherheitsbehörden vordringlich als relevant erachtete Zielgruppen hinausgeht und teilweise auch Bereiche der allgemeinen Jugendarbeit und der politischen Bildung einschließt. In Kap 5.1 gehen Groeger-Roth et al. auf das breite Feld der „Universellen Extremismusprävention“ ein, die sich von allgemeinen Fördermaßnahmen durch ihre spezifische Zielsetzung unterscheidet – nämlich die Verhinderung von (extremismusaffiner) Radikalisierung. Präventionsansätze im universellen Bereich versuchen, sich an Risiko- und Schutzfaktoren für Radikalisierung zu orientieren und zielen auf die Förderung von bestimmten sozialen Kompetenzen ab. Im Kap 5.2 befassen sich Glaser et al. mit den Zielgruppen, Handlungsfeldern und Ansätzen der „Selektiven Extremismusprävention“. Im Zielfeld stehen hierbei Personen und Gruppen, die aufgrund von Positionen oder Verhaltensweisen nicht nur als empfänglich für radikale (extremismusaffine) Weltsichten bewertet werden, sondern bereits konkret entsprechende Einstellungs- und Verhaltenstendenzen zeigen. Ansätze in diesem Bereich zielen darauf ab, ideologische Anschauungen und Weltbilder kritisch zu reflektieren und über eine entsprechende Sensibilisierung und Intervention eine weitere Hinwendung zu anti-demokratischen, extremismusaffinen Positionen und Deutungsangeboten zu stoppen. Darauffolgend beschreiben Allroggen et al. im Kap 5.3 das Handlungsfeld der „Indizierten Extremismusprävention“, welches sich auf Interventionen bei verfestigten Radikalisierungsprozessen konzentriert. Es schließt sowohl Maßnahmen zur Deradikalisierung als auch zum sog. Disengagement ein.

Ungeachtet der in den drei Beiträgen des Kapitel 5 thematisierten Schwierigkeit, Schnittstellen und Übergänge zwischen den drei Präventionsfeldern klar zu definieren, wird es offensichtlich, dass in den verschiedenen Arbeitsfeldern die Aufmerksamkeit auf andere personen-, gruppen- und ideologiebezogene Einflussfaktoren zu richten ist. Während im Bereich der universellen Prävention die Auseinandersetzung mit Risiko bzw. Schutzfaktoren, die eine Zuwendung zu radikalen bzw. extremistischen Identifikationsangeboten verhindern sollen, im Vordergrund steht, fokussiert die selektive Extremismusprävention auf eine Dekonstruktion von ideologischen Bezugspunkten , um Entwicklungen in Richtung eines entsprechend motivierten Extremismus oder Gewaltgeschehens möglichst in einem Anfangsstadium zu stoppen. Und bei der indizierten Prävention im Rahmen der Begleitung von Deradikalisierungs-und Ausstiegsprozessen wird in der Regel eher auf personenbezogene Faktoren Bezug genommen, indem auf individuelle psycho-soziale Konflikte bzw. Bedürfnisse abgestellt wird, um ein Leben außerhalb gewaltaffiner extremistischer Gruppierungen als lebenswerte Alternative für die betroffenen Personen erscheinen zu lassen – und ggf. auch, ohne darauf abzuzielen, die ursprünglich eingenommene radikale Position im Bemühen etwa um eine „gerechtere“ Gesellschaft gänzlich aufzugeben. Zentrales Anliegen von Kapitel 5 ist es, die wesentlichen Gestaltungsmerkmale und Elemente von Präventionsangeboten in den drei übergeordneten Handlungsfeldern herauszustellen.

Darauf aufbauend thematisieren Jaschke et al. in Kapitel 6 die Herausforderung, die diversen Maßnahmen in den unterschiedlichen Handlungsfeldern in Gestalt eines koordinierten, ganzheitlichen Präventionsansatzes aufeinander abzustimmen. Besonderes Augenmerk ist hierbei auf die Kooperation, das vertrauens- und respektvolle Zusammenspiel der zu beteiligenden staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteure zu legen. Auch in diesem Kapitel unterscheiden wir drei Betrachtungsebenen. Zunächst widmen sich Bothe et al. Fragen nach den besonderen Herausforderungen der Präventionsgestaltung auf kommunaler Ebene (6.1). Hiermit ist die unmittelbare Praxisebene angesprochen: Prävention findet letztlich dort statt, wo die Menschen leben – in den Städten und Dörfern mit ihren je spezifschen Herausforderungen und Möglichkeiten. Was ist in einer Gemeinde zu tun, die sich (plötzlich) mit radikalisierten oder gewaltaffinen extremistischen Gruppierungen konfrontiert sieht? Wer ist zu aktivieren, wo kann Unterstützung – ggf. aus Bund oder Land – eingeworben werden? In den weiteren Teilkapiteln geht es um die Gestaltung bzw. Unterstützung von Präventionsanstrengungen auf regionaler, auf Landes-Ebene (6.2) bzw. auf nationaler, auf Bundes-Ebene (6.3). In dem Beitrag von Dietz und Gansewig werden anhand von zwei Beispielen aus Hessen und Schleswig-Holstein die Möglichkeiten aufgezeigt, die im Rahmen von Länderprogrammen im Bereich der Extremismusprävention ausgeschöpft werden können. Der Beitrag von Lüders et al. schildert hingegen die Rahmenbedingungen und Ziele der Programme der Bundesministerien „des Innern, für Bau und Heimat“ sowie „für Familie, Senioren, Frauen und Jugend“.

Zum Abschluss des Praxisteils unternehmen Lützinger et al. im Kapitel 7 den Versuch, die Landschaft der Extremismusprävention in Deutschland deskriptiv darzustellen. Dabei handelt es sich um eine Momentaufnahme, die den aktuellen Praxisstand auf der Grundlage von Open Source-Recherchen kartografieren bzw. abbilden soll. Die Fragestellung lautet: Welche konkreten Angebote sind mit Blick auf welche Extremismen in den unterschiedlichen Arbeitsfeldern der universellen, selektiven und indizierten Prävention verfügbar. Des Weiteren wird die „geografische“ Verteilung von Präventionsprojekten und -Maßnahmen den auf den jeweiligen Regionalraum bezogenen Zahlen zum Aufkommen politisch motivierter Straftaten gegenübergestellt, um eine erste nähere Einschätzung zum Verhältnis von Präventionsbedarf und -angeboten vornehmen zu können. In diesem Zusammenhang ergibt sich eine direkte Schnittstelle des Handbuchs Extremismusprävention mit der virtuellen Welt des Internets: Das Handbuch wird auch über eine eigene Internetpräsenz zugänglich gemacht (www.handbuch-extremismuspraevention.de). Hier findet sich eine kontinuierlich aktualisierte Deutschlandkarte mit den in den jeweiligen Städten/Regionen vorgehaltenen Präventionsangeboten. Ferner vermittelt Kapitel 7 einen Eindruck von den Potenzialen einer georeferenzierten Erfassung der Präventionslandschaft für eine gezieltere und effektivere Ressourcensteuerung: Wo erscheint nach Abgleich mit anderen Indikatoren zum Aufkommen radikaler, extremistischer Erscheinungen bzw. entsprechender sozio-ökonomischer oder sozio-demographischer „Risikofaktoren“ bzw. „Vulnerabilitäten“ ein Mehr oder auch ggf. Weniger an Präventionsangeboten angeraten?

Kapitel 7 geht abschließend auf internationale Aspekte ein, die allem Anschein nach mit Auswirkungen auf die Praxis in Deutschland einhergehen: Wie können Präventionsmaßnahmen zu einer letztlich weltweit relevanten Herausforderung auch international abgestimmt werden – zumindest im Sinne eines wechselseitigen Erfahrungsaustausches, der ein „Voneinander-Lernen“ ermöglicht. Es werden bereits bestehende Strukturen und Netzwerke auf europäischer Ebene vorgestellt, die trotz aller noch bestehender Defizite zumindest erste Grundlagen und Ausgangspunkte bieten. Gerade auf internationaler Ebene ist noch viel Entwicklungspotenzial gegeben. Die Länder unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich deutlich unterschiedlicher Betroffenheit in den diversen extremistischen Phänomenfeldern, sondern auch hinsichtlich ihrer Gewichtung präventiver Zugänge im Verhältnis etwa zu repressiven Bekämpfungsmaßnahmen.

Ausblick und Danksagung

Die Herausgeber sind sich bewusst, dass die hoch gesteckten Ziele in der vorliegenden Erstausgabe noch nicht vollumfänglich eingelöst werden können. Das Feld ist komplex. Je besser wir die zu prävenierenden Erscheinungen der differenten und sich über Zeit wandelnden Phänomene von Extremismus und die Auswirkungen der unterschiedlichen praktischen präventiven Zugänge verstehen, desto besser werden wir das hier verfolgte Ziel, vorhandenes zielführendes Wissen zusammen zu tragen, einlösen können. Wir laden Sie, die Leserinnen und Leser ein, das Handbuch in der fortwährend anzupassenden elektronischen Online-Version sowie in künftigen Neuauflagen der Druckversion über ihre Rückmeldungen, Kommentare etc. mitzugestalten und besser zu machen. Die Herausgeber verstehen das Projekt „Handbuch Extremismusprävention“ als ein dynamisches Werk, dessen Inhalte kontinuierlich an sich verändernde Entwicklungen und Rahmenbedingungen anzupassen sind. Es gilt einerseits, eine kontinuierliche Aktualisierung des jeweils der Präventionslandschaft zu Grunde liegenden Forschungsstandes sicher zu stellen und andererseits, die Entwicklungen in den unterschiedlichen Praxisfeldern zu begleiten und – soweit angesichts der Entwicklungsdynamik in diesem Feld möglich – zu dokumentieren.

Die Idee und Konzeption des Handbuchs entspringen zweier zentraler Motive: Zum einen geht es darum, zu einer Versachlichung des Diskurses beizutragen, indem über eine evidenzbasierte – durch Wissenschaft und praktische Erfahrung gestützte und nicht durch Emotionen geleitete – Risikobewertung bzw. -einschätzung Angst genommen werden soll. Zum anderen erhoffen sich die Autorinnen und Autoren, dass die hier zusammengetragene Expertise als Managementhilfe bzw. als Instrument genutzt wird, um die Extremismusprävention effizienter und vor allem effektiver zu gestalten.

Abschließend gilt es Dank zu sagen. Wir, die Herausgeber, sind den vielen Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis dankbar, die sich in den letzten mehr als anderthalb Dekaden auf die unterschiedlichsten Kooperationen und Diskussionen mit uns, zwei Wissenschaftlern aus einer Sicherheitsbehörde, eingelassen haben. Das dies nicht selbstverständlich ist, spiegelt sich in einer bis heute immer wieder einmal spürbaren Skepsis und abwartenden Haltung gegenüber den Wissenschaftstreibenden der Forschungsstelle Terrorismus/Extremismus (FTE) des BKA wider. Aber auch hierfür sind wir dankbar, denn diese skeptische Haltung fordert uns stets, an der Sache orientiert und mit Blick auf die jeweils verhandelten Inhalte argumentierend zu überzeugen. Und gelingt dies nicht, so sehen wir uns aufgefordert, unsere Positionen zu überdenken bzw. im Spiegel neuer Forschungsbefunde anzupassen oder aber etwaige Unsicherheiten über die Auflage neuer Forschungsprojekte zur Deckung von Erkenntnisdefiziten auszugleichen. Mit nahezu allen am Handbuch beteiligten Autorinnen und Autoren hatten wir die Ehre und auch das immer wieder aufleuchtende Vergnügen – trotz mancher im Kooperationsprozess auftauchenden Schwierigkeiten und Irritationen – in den unterschiedlichsten Projekt- und Arbeitskontexten kooperieren zu dürfen. Das kooperative Miteinander mit den unterschiedlichsten Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis ist sozusagen der kreative Quell und die Wissens- und Erfahrungsgrundlage für das vorliegende Werk. Insofern möchten wir über die am vorliegenden Handbuch beteiligten Personen hinausgehend all denjenigen ausdrücklich und herzlich danken, die uns punktuell oder dauerhaft in den letzten Jahren begleitet haben und uns stets konstruktive „Reibungsfläche“ zu den vielfältigen hier verhandelten Themen geboten haben. Aus einem wesentlichen Grund möchten wir hier davon absehen, die vielen Kolleginnen und Kollegen, die sich hier zu Recht angesprochen sehen, namentlich zu nennen: Es sprengte den hier verfügbaren Rahmen – wir haben schnell eine dreistellige Zahl von zu nennenden Personen erreicht und hielten es für nicht praktikabel und unangemessen, bestimmte Personen herauszustellen. Insbesondere möchten wir hier auch die ehemaligen und aktuellen Kolleginnen und Kollegen unser aller FTE in den herzlichen Dank mit einbeziehen.

Unter dem Strich gibt das Handbuch den aktuellen Stand eines vitalen Austausches zwischen der Wissenschafts- und Praktikergemeinschaft wieder und es ist auch Resultat eines in vielfältigen Projekten kooperativ beackerten Feldes universitärer und sicherheitsbehördlicher Forschung. Die Autorinnen und Autoren sowie Herausgeber fungierten hier in erster Linie als Schreibkräfte und Moderatoren dieses Prozesses – wobei es die Herausgeber sind, die etwaige Defizite zu verantworten haben. Und abschließend noch eine offene und persönliche Notiz der Herausgeber: Die Idee und der Aufbau des Handbuchs ist nicht zuletzt das Resultat eines mehr als fünfzehnjährigen kollegialen Streits zweier Angehöriger unterschiedlicher kulturräumlicher – islamisch und christlich geprägter – Gesellschaftssysteme sowie unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen – Soziologie und Psychologie. Dies war – neben dem steten intensiven Austausch mit den Mitautorinnen und -autoren – möglicherweise der Schlüssel, um die zum Teil gegensätzlichen Positionen der Herausgeber kreativ und zielorientiert zu vereinen. Auch hierfür sei den Mitwirkenden an diesem Buch gedankt – denn ohne die Toleranz gegenüber den bisweilen widerstreitenden Diskursen und Eigentümlichkeiten der Herausgeber wäre dieses Buch nie entstanden.