Bundeskriminalamt (BKA)

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Die virtuelle Gemeinschaft

Radikalisierung in virtuellen Gemeinschaften

Wer wir sind, wird auch durch die sozialen Gruppen geprägt, denen wir angehören und mit denen wir uns identifizieren, etwa unsere Familien, Freunde, Religion oder Nationalität. Die Möglichkeit, über Online-Medien ständig mit anderen aus unserer Gruppe verbunden zu sein, verändert dabei zwar nicht, dass wir uns zu Gruppen zusammenfinden, aber es ist davon auszugehen, dass sich verändern kann, wie wir uns zusammenfinden. Online-Medien bieten unzählige Möglichkeiten, sich in virtuellen Gruppen auszutauschen und Gleichgesinnte zu finden. Sie können daher als Infrastruktur für extremistische Gruppen dienen und dabei helfen, bestimmte kollektive Identitäten – etwa das „deutsch” oder „muslimisch” Sein – im Sinne extremistischer Ideologien zu interpretieren und zu festigen.

Virtuelle Gruppen als wirksame Infrastruktur für Extremistinnen und Extremisten

Online ist es besonders leicht, Gruppen zu finden, die die eigenen Interessen oder Erfahrungen teilen, selbst dann, wenn die Mitglieder offline weit verstreut sind. 2017 nutzten beispielsweise bereits mehr als eine Milliarde Menschen die Gruppen-Funktion bei Facebook, in Deutschland allein waren es Millionen.53) Die meisten davon sind vermutlich nicht politisch oder gar extremistisch orientiert. Allerdings können Gruppen eben auch für extremistische Zwecke genutzt werden: So plante die rechtsterroristische Vereinigung „Revolution Chemnitz“ Medienberichten zufolge ihren Anschlag mit Hilfe einer Chat-Gruppe im Instant Messenger Telegram.54)

Mangelnde Datenlage zur Nutzung virtueller Gruppen

Noch ist vergleichsweise wenig über die Nutzung von virtuellen Gruppen speziell durch extremistische Personen bekannt, obwohl solche Gruppen bereits von Al-Qaida als zentrales Rekrutierungsinstrument angesehen wurden.55) Bekannt ist, dass etwa antisemitische Cyberhate-Gruppen innerhalb kürzester Zeit Tausende von Mitgliedern anziehen können und Hunderte von Facebook-Gruppen ihre Identität als ‘Tea-Party’-Mitglied zelebrieren.56) Es kann sehr schnell gehen, solchen Online-Gruppen beizutreten, ein Klick genügt. Manchmal ist aber auch eine gesonderte Anmeldung oder sogar ein gewisses Engagement im Vorfeld notwendig, etwa eine Begründung, warum man beitreten möchte. Während davon einerseits die Privatsphäre der Mediennutzerinnen und -nutzer profitiert, erschwert sich andererseits die (wissenschaftliche) Untersuchung entsprechender Foren.

Letzteres gilt aber natürlich nicht nur online: Das Spannungsfeld zwischen dem Recht auf Privatsphäre und dem Bedürfnis, Informationen zu sammeln und auszuwerten, existiert online wie offline. Berichte über das „Innenleben” extremistischer Gruppen existieren daher mehrheitlich durch investigative Journalistinnen und Journalisten, die sich ‚undercover‘ in solchen Gruppen bewegt haben.57) Solche Ansätze bewegen sich stets in einem schwierigen ethischen Spannungsfeld und laufen Gefahr, das Misstrauen gegenüber dem Journalismus (in rechten Kreisen häufig als „Mainstream“-Medien verteufelt) innerhalb extremistischer Echokammern zu begünstigen.

Extremisten halten sich (auch) in Echokammern auf

Echokammern

Die Echokammern-Hypothese geht, ähnlich wie die Filterblasen-Hypothese, davon aus, dass Menschen Inhalte bevorzugen, die ihre eigene Meinung bestätigen. Der Unterschied liegt darin, dass Nutzende im Fall einer Echokammer aktiv diejenigen Medien bevorzugen (beispielsweise durch Anklicken bestimmter Beiträge), die ihre Meinung unterstützen, und diejenigen meiden, die abweichende Meinungen und Ansichten verbreiten. Ähnlich wie bei der Filterblasen-Hypothese wird befürchtet, dass dadurch im Laufe der Zeit einseitige (homogene) Meinungsumgebungen entstehen können.

Ähnlich wie bei der Filterblasen-Hypothese sind die empirischen Belege für Echokammern58) eher gemischt. Die meisten Mediennutzerinnen und -nutzer konsumieren sehr unterschiedliche Medien — sie lesen Zeitung, scrollen durch Facebook und schauen Fernsehen. Diese Vielfalt schränkt die Wahrscheinlichkeit von Echokammern ein.59)Gerade extremistische Szenen achten aber darauf, dass ihre Mitglieder nicht zu viel „Abweichendes“ konsumieren.60) So zeigen Studien, dass Personen, die an Verschwörungstheorien glauben, bei Facebook hauptsächlich mit anderen Personen interagieren, die auch an solche Theorien glauben, aber nicht mit Personen, die wissenschaftliche Quellen konsumieren – und umgekehrt.61)

Je extremer die politische Meinung, desto eher wenden Mediennutzerinnen und -nutzer sich im Netz von Andersdenkenden ab.62) Im Laufe der Zeit kann so der Eindruck entstehen, die eigenen (vielleicht auch extremeren) Einstellungen wären mehrheitsfähig. Eine Umfrage unter Teilnehmenden eines digitalen Neo-Nazi Forums in den USA zeigte, dass Personen, die besonders viel Zeit in diesem Forum verbrachten, stärker dazu neigten, die Zustimmung der breiten Bevölkerung zu überschätzen – sie fühlten sich stärker im Recht.63)

Virtuelle Gruppen können den Umgang mit Informationen auch dann verzerren, wenn es sich nicht um geschlossene Echokammern handelt: Dies wird häufig darüber erreicht, dass Informationen anders verarbeitet werden, wenn eine kollektive Identität in Personen angesprochen wird, etwa wenn es um „unsere (deutschen/muslimischen etc.) Frauen“ geht.

Struktur und Informationen zum Kapitel / Modul

Fussnoten

Literatur

Quellen