Bundeskriminalamt (BKA)

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Hate Speech als Werkzeug der Polarisierung und Radikalisierung

Hate Speech80) ist im Netz weit verbreitet. In einer repräsentativen Umfrage berichteten 67 Prozent der Deutschen über 14 Jahren, dass sie zumindest ab und zu Hasskommentare im Netz sehen.81) Bei den unter 29-Jährigen, die sich traditionell besonders häufig im Netz aufhalten, sind es sogar 91 Prozent. Besonders nach Anschlägen wird das Netz von hasserfüllten Kommentaren überflutet.82)

Hate Speech

Als Hate Speech werden kommunikative Angriffe auf Mitglieder bestimmter sozialer Gruppen bezeichnet, die durch eine verzerrte Einstellung der Täterinnen und Täter gegenüber diesen Gruppen motiviert sind, zum Beispiel durch rassistische, islamophobe, antisemitische oder sexistische Vorurteile.

Hasskommentare können bei Lesenden die Einstellung gegenüber den verunglimpften Gruppen verändern und sie dazu anregen, sich selbst negativer über die besagte Gruppe zu äußern.83) Gleichzeitig können Hasskommentare auch direkt denjenigen schaden, die angegriffen werden: Wer Hate Speech im Netz sieht, neigt dazu, anderen Menschen weniger zu vertrauen.84) Nicht zuletzt kann Hate Speech weitere Radikalisierungsprozesse fördern: Wer diskriminiert wird und sich ausgeschlossen fühlt, befürwortet radikale Ideen stärker.85) Hate Speech könnte diesen Eindruck bei den angegriffenen Personen befördern. Zusammenfassend kann Hate Speech langfristig zu einer Spaltung („Polarisierung”) der Gesellschaft beitragen und zukünftige Radikalisierungsprozesse begünstigen. Es muss demnach festgehalten werden, dass die virtuelle Gemeinschaft eine zentrale Rolle in Radikalisierungsprozessen spielen könnte. Virtuelle Gruppen können als Infrastruktur für Aktionen dienen und als Echokammern die eigene Wahrnehmung und Erinnerung verzerren. Extremistinnen und Extremisten missbrauchen kollektive Identitäten für ihre Zwecke und tragen über Verschwörungstheorien und Hasskommentare zur Polarisierung der Gesellschaft bei. Aber nicht nur für Propaganda sind virtuelle Gruppen und Gruppenidentitäten von Bedeutung – auch die Prävention kann sich die Ansprache einer kollektiven Identität in der virtuellen Gemeinschaft zunutze machen.

Ansatzpunkte für die Prävention in virtuellen Gemeinschaften

Extremismusprävention auf der Ebene der digitalen Gemeinschaft betrifft vor allem den Raum der Online Communities, der digitalen Gruppen, die offen – oder auch sehr geschlossen – gestaltet sein können. Entsprechend dem beschriebenen Angebot an extremistischen Gruppierungen, das von offenen Profilen oder Gruppen-Accounts bis zu abgeschotteten, geschlossenen Bereichen reicht, können bzw. sollten Präventionsangebote auf dieser Ebene 1. gefährdete Gruppen auch online ansprechen, 2. Gruppendynamiken (auch) online erforschen und für die Prävention nutzbar machen und 3. den Abbau von Vorurteilen fördern und Ausgrenzungserfahrungen im Netz verhindern.

Gefährdete Gruppen auch online in ihren Communities ansprechen

Da virtuelle Gruppen eine Infrastruktur für extremistischen Austausch (siehe oben) bieten, ist es wichtig, Gegenangebote, Gegenargumente oder auch Gegenerzählungen an den „Orten” zu schaffen, an denen es zur Anwerbung on- wie offline kommt. Aktionen und Initiativen wie „Was postest du“86) von ufuq.de oder „#Ich bin hier“87), die sich gegen Hass im Netz einsetzen und dorthin gehen, wo die Meinungen gefestigt werden, zeigen, wie solche Präventionsangebote aussehen können. Voraussetzung dafür ist, in diese Gruppen Einlass zu finden, den richtigen Ton zu treffen, sich in der Thematik, Kultur sowie Szene auszukennen, die man „moderiert“. Moderierte Diskussionen könnten auch bei potenziell gefährdeten Mitleserinnen und Mitlesern eine präventive Wirkung haben, wie Erfahrungen aus der Praxis zeigen. Ein besonders eindrucksvolles Projekt ist das Online-Streetwork-Projekt „Jamal Al-Khatib – Mein Weg"88), das aus einer Kooperation mit einem jungen österreichischen IS-Rückkehrer entstanden ist, der die Szene kennt und die richtige Sprache für das Präventionsmaterial findet.

Gruppendynamiken online erforschen und Schlussfolgerungen für die Prävention daraus ziehen

Wie die Analyse der WhatsApp-Kommunikationsprotokolle der Essener Sikh-Tempel Attentäter verdeutlicht (s. Abschnitt Identitätskonstruktion und Erinnerungskultur in virtuellen Gruppen weiter oben), zeigen Expertinnen und Experten aus verschiedenen Bereichen, dass die Jugendlichen von den „Anführern” willkürlich in eine Feindbildkonstruktion im Sinne der Ingroup-Outgroup-Problematik hineinargumentiert werden. Widersprüche aus der Gruppe werden im Keim erstickt, Zweifler werden aus der Gruppe und somit den Informationen zur Planung ausgeschlossen. Doch diese Zweifler benötigt es auch, und diese Zweifler müssen den Mut aufbringen, eine Radikalisierung in geschlossenen Räumen zu melden. Es gilt, die Zivilcourage in verschiedenen Bereichen früh und konstant zu fördern, bspw. in Projekten wie „Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage”.89)

Abbau von Vorurteilen fördern – Ausgrenzungserfahrungen verhindern

Online-Medien können bei der Konstruktion und Förderung von kollektiven Identitäten eine wichtige Rolle spielen, insbesondere für Personen, die sich „offline” ausgegrenzt fühlen. Online-Prävention kann daher einerseits Angebote zur Verfügung stellen, die nicht-extremistische Interpretationen von kollektiven Identitäten fördern, und andererseits zu einem Abbau von Vorurteilen beitragen, um Ausgrenzungserfahrungen zu vermindern. Interkulturelle Projekte, zum Beispiel in den Bereichen des E-Learnings, Gamings oder Peer-to-Peer könnten sich hier besser vernetzen und vor allem sichtbarer werden. Gleichzeitig können solche Online-Gruppen über die Förderung von Intergruppen-Kontakt90) zum Abbau von Vorteilen beitragen – selbst bei langfristig konflikthaften Parteien wie im Fall des Israel-Palästina-Konfliktes.91)Angesichts der Bedeutung von Hate Speech und Verschwörungstheorien in extremistischen Online-Angeboten erscheint es zudem sinnvoll, gezielt gegen derartige Inhalte vorzugehen. Beispielsweise bietet das NETTZ92) Tipps und Lernmaterialien für den Umgang mit Hate Speech an. Im Sammelband Online Hate Speech93) kommen verschiedene Praxisakteurinnen und -akteure zu Wort, die ihre Erfahrungen zum Umgang mit entsprechenden Phänomenen schildern.

Weder alle Propaganda- noch alle Präventionsangebote wirken gleichermaßen oder auf die Gesamtheit der Individuen, die online sind. Medienwirkung – und das gilt auch für Propaganda – hängt von einer Interaktion zwischen den individuellen Charakteristika des Mediums und den differentiellen Eigenschaften des individuellen Nutzers oder der individuellen Nutzerin ab. Neben der grundsätzlichen Struktur der digitalen Gesellschaft und der Anziehungskraft von virtuellen Gemeinschaften muss daher der Mensch im Netz, das „Online-Individuum”, betrachtet werden.

Struktur und Informationen zum Kapitel / Modul

Fussnoten

Literatur

Quellen